Auf erhebliche Mängel in der Personalausstattung der Wiener Spitäler macht der Gesundheitsinfrastrukturreport 2019 der Wiener Ärztekammer aufmerksam. Dem Bericht zufolge fehlt es in der österreichischen Hauptstadt an rund 600 Ärztinnen und Ärzten, um eine ausreichende Gesundheitsversorgung sicherzustellen. Der Ärzte- und Pflegemangel in Wien ist inzwischen Gegenstand einer gesundheitspolitischen Auseinandersetzung. Besonders im Blick steht dabei die Personalsituation am Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien.
Ärzte- und Pflegemangel: Wien besonders betroffen
Das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien – kurz AKH – ist mit fast 9.000 Beschäftigten und fast 1.800 Betten die größte Klinik Österreichs und zugleich eines der größten Krankenhäuser Europas. Es ist außerdem Sitz der Medizinischen Universität und damit eine zentrale Institution.
Die Mangelsituation betrifft aber nicht nur das AKH, sondern stellt ein generelles Problem dar. Erst kürzlich hatte die Ärztekammer in einer Pressemitteilung auf unhaltbare Zustände an einigen Wiener Krankenhäusern aufmerksam gemacht.
Akuter Engpass in der Neonatologie
Besonders wird auf einen “Alarmruf” der Wiener Universitätsklinik für Frauenheilkunde an die AKH-Führung und die Universitätsleitung hingewiesen. Danach gebe es wegen des Personalmangels patientengefährdende Zustände an der zugehörigen Kinderklinik. Wegen fehlender personeller Ressourcen hätten schon Mütter abgewiesen werden müssen, weil es nicht möglich gewesen sei, ihre Kinder angemessen zu versorgen.
Die Neonatologie – die medizinische Behandlung von Neugeborenen – ist überhaupt das größte Sorgenkind. Hier bestehe an praktisch allen Wiener Spitälern ein Notstand – zum Beispiel auch am St-Josef-Krankenhaus im Gemeindebezirk Hietzing. Dort müsse der Ärztefunkdienst der Ärztekammer gemeinsam mit den Krankenhausärzten die Versorgung aufrechterhalten – der Verbund der Wiener Krankenhäuser sei dazu nicht in der Lage.
Insgesamt konstatiert die Ärztekammer für das AKH und alle Wiener Gemeindespitäler einen akuten Pflegemangel. An Ärztinnen und Ärzten fehle es vor allem bei den Gemeindespitälern.
Erkenntnisse aus dem Gesundheitsreport
Abgesehen von den aktuellen Negativmeldungen macht der Gesundheitsinfrastrukturreport auf grundlegende Defizite aufmerksam. Der Bericht beleuchtet das Wiener Gesundheitssystem aus Sicht der Patienten, der Ärzteschaft sowie von Politik und Wirtschaft. Danach wären in Wien 300 zusätzliche Kassenärzte und 300 zusätzliche Krankenhaus-Ärzte für eine gute medizinische Versorgung erforderlich.
Der Report fordert außerdem eine bürokratische Entlastung der Ärzteschaft. Das Gesundheitswesen müsse von administrativem Aufwand befreit werden, um wieder mehr Kapazitäten für die Patienten verfügbar zu machen. Auch das trage zu einer besseren medizinischen Versorgung bei.
Ein weiteres Thema des Reports sind die häufig überlasteten Notfallambulanzen in den Wiener Spitälern. Danach kommt es vor allem an den Wochenenden häufiger zu einem richtigen “Run”, wenn die Hausarztpraxen geschlossen sind. Überfüllung mit entsprechend langen Wartezeiten ist die logische Konsequenz.
Hier weist der Bericht auf ein Modell am AKH hin. Dort betreibt der Ärztefunkdienst der Ärztekammer die Allgemeinmedizinische Akutordination AMA. Diese Einrichtung entlastet die AKH-Notaufnahme signifikant und behandelt jährlich etwa 20.000 Patienten. Das AMA-Modell könnte an allen Wiener Spitälern installiert werden und auch dort für die Notaufnahmen eine Chance sein, sich wieder mehr auf ihre originären Aufgaben zu konzentrieren.
Demografischer Wandel mit zusätzlichen Herausforderungen
Der demografische Wandel bedeutet ebenfalls eine Herausforderung für die Wiener Gesundheitsversorgung. Eine immer älter werdende Bevölkerung wird laut Bericht wegen des steigenden Behandlungsbedarfs zu höheren Gesundheitsausgaben und einer stärkeren Inanspruchnahme medizinischer Einrichtungen führen.
Ärzte- und Pflegemangel in Wien ist auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Die vorhandenen Kapazitäten müssten entsprechend angepasst werden, außerdem werde es noch wichtiger, auf effiziente Organisation und Ausschöpfung von Kostensenkungspotentialen zu achten.
In der Untersuchung wurde auch Reformbedarf in der Wiener Gesundheitsversorgung erhoben. Die Befragten nannten hier den Ausbau stationärer und mobiler Pflegeeinrichtungen, Förderung der Gesundheitsprävention, bessere Koordination und Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsinstitutionen sowie Behebung des Ärztemangels als dringlich.
Beanstandet wurden Planungs- und Strategie-Defizite sowie mangelnde Kompetenz mancher politisch Verantwortlicher. Die Ärztekammer hatte kürzlich selbst den Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker kritisiert. Er habe den dramatischen Neonatologie-Pflegenotstand im Wiener AKH ein “Mikroproblem” genannt und verkenne damit die Situation völlig.
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