Digitale Medizin ist längst keine Zukunftsmusik mehr. Mit ELGA gibt es in Österreich bereits seit 2016 eine elektronische Krankenakte. Digitale Sprechstunden, Patienten-Apps und Schlagworte wie Big Data bestimmen immer stärker den Arbeitsalltag von Ärzten. Teilweise unterstützen bereits roboterbasierte Systeme die Behandlung von Patienten. Von der Digitalisierung in der Medizin versprechen sich viele Antworten auf drängende Fragen im Gesundheitswesen. Den Chancen stehen allerdings auch einige Risiken gegenüber, insbesondere den Schutz personenbezogener Daten betreffend.
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Digitalisierung in der Medizin: Der Weg in die Zukunft?
Rund 80 Prozent der Funktionen, die heute Mediziner erfüllen, werden in der Zukunft von Maschinen übernommen – diese These stellte der Schweizer Zukunftsforscher Georges T. Roos beim Forum Hospital Management 2018 in Wien auf. Die fortschreitende Digitalisierung in der Medizin bedeute auch, dass IT-Unternehmen wie Google, IBM und Co. bald zu wichtigen Größen im Gesundheitswesen werden.
IBM hat zum Beispiel den Supercomputer Watson entwickelt. Der kann 800 Millionen Seiten in einer Sekunde lesen und analysieren. Kognitive Computersysteme wie Watson greifen zudem auf eine umfangreiche Informationssammlung zurück und können auf dieser Basis Hypothesen erstellen und bewerten. Das machen sich auch Mediziner zunutze: Onkologen in den USA nutzen Watson beispielsweise, um individuelle Therapieformen für Patienten zu entwickeln, passend zur jeweiligen Form des Tumors. Dafür wertet das System Millionen Seiten von Fachliteratur und Studien aus. Die Ergebnisse werden von Ärzten überprüft und dienen als Grundlage für einen individuellen Behandlungsplan.
Digitale Medizin: Wo steht Österreich?
In Österreich dient die digitale Medizin bislang in erster Linie dazu, Patientendaten zu verwalten. Der Bericht SmartHealthSystems der Bertelsmann Stiftung, ein Vergleich von Strategien zur digitalen Medizin in 17 Ländern, sieht Österreich auf Platz 10 und damit im Mittelfeld. Als erstes deutschsprachiges Land hat Österreich zum Beispiel ein zentrales, öffentlichen Gesundheitsinformationsportal eingeführt. Die Website gesundheit.gv.at informiert Besucher zu Krankheiten und Therapien. Zudem können Patienten hier ihren E-Befund abrufen. Darin enthalten sind unter anderem Diagnosebefunde und Entlassungsbriefe. Auf Wunsch kann der E-Befund für die ärztliche Einsicht geöffnet oder aber auch gesperrt werden.
Mit ELGA gibt es seit 2016 zudem eine elektronische Patientenakte. Zunächst waren nur Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen an die ELGA-Infrastruktur angeschlossen, sukzessive folgen aber Arztpraxen und Apotheken.
Anonymisierte und pseudonymisierte Gesundheitsdaten dürfen in Österreich zum Zweck der eigenen Behandlung verwendet werden. Die Bereitstellung dieser Daten für die klinische Forschung war bislang nicht vorgesehen. Das änderte sich mit der COVID-19 Pandemie: Die neu eingeführte COVID-19-Datenplattform erlaubt es Forschungseinrichtungen, anonymisierte und pseudonymisierte Daten aus dem Epidemiologischen Meldesystem (EMS) zu Untersuchungen von SARS-CoV-2 nutzen. Voraussetzung ist eine erfolgreiche Prüfung der Forschungsanträge, außerdem muss geltendes Datenschutzrecht eingehalten werden.
Digitale Medizinanwendungen eröffnen vielfältige Möglichkeiten
Welche weiteren Möglichkeiten die digitale Medizin bietet, zeigt etwa der elektronische Impfpass. Über diesen können Österreicher nicht nur ihren Impfstatus einsehen, sondern erhalten auch personalisierte Impfempfehlungen, basierend auf dem nationalen österreichischen Impfplan. Darüber hinaus gibt der elektronische Impfpass Auskunft über die Durchimpfungsrate der österreichischen Gesellschaft – eine wichtige Information zur Risikoabschätzung.
Eine große Zeitersparnis für Patienten bieten telemedizinische Anwendungen. Per Videosprechstunde ist der Arzt überall dort erreichbar, wo sich der Patient gerade befindet, etwa in der eigenen Wohnung oder auch am Arbeitsplatz. Virtuell kann der Arzt Vitalwerte abrufen, Rezepte ausstellen und diese dem Patienten auf digitalem Wege zusenden. In den USA bieten der American Telemedicine Association zufolge schon mehr als 60 Prozent der Krankenhäuser telemedizinische Dienstleistungen an.
Ein weiterer Trend geht hin zu digitalen, tragbaren Medizingeräten. Apps und Mini-Computer erfassen den Gesundheitszustand von Patienten, werten diese Daten aus und übermitteln sie in Echtzeit an den behandelnden Arzt. Das soll nicht nur die Behandlung verbessern, sondern auch die Patienten-Ermächtigung stärken.
Welche Chancen bietet die digitale Medizin?
Die digitale Medizin bietet Experten zufolge große Chancen, wenn es um die Vernetzung unterschiedlicher Datenquellen und Systeme geht. Wichtig ist dabei allerdings, dass die einzelnen Anwendungen interoperabel sind und auf bestehender Infrastruktur aufsetzen. Wird etwa ein Patient aus der Klinik entlassen, kann dabei gleich die empfohlene Medikation in den Entlassungsdokumenten gespeichert werden. Der Hausarzt kann diese Empfehlung einsehen und direkt elektronisch ins Rezept übernehmen. Die einzelnen Elemente des Gesundheitswesens greifen so besser ineinander, was auch zu einer schnelleren Datenverarbeitung führt.
Die Digitalisierung in der Medizin soll zudem die Grundlage für neue Innovationen bilden. Digital gesammelte Daten von Millionen von Menschen können zum Beispiel in anonymisierter und geschützter Form in medizinische Studien einfließen. Derartige Studien lassen sich schneller und effizienter durchführen und liefern ein klareres Bild von Therapie-Erfolgen und -Rückschlägen. Solche Statistik-Analysen werden als real-world-evidence, kurz RWE, bezeichnet. Die Zahl der klinischen Studien, die um RWE ergänzt werden, steigt seit Jahren.
Eine fortschreitende Digitalisierung in der Medizin ermöglicht Experten zufolge zudem eine stärkere Personalisierung. Therapie und Diagnose werden genau auf den einzelnen Patienten und das jeweilige Krankheitsbild abgestimmt. Damit das gelingt, müssen Diagnostik und Therapie optimal zusammenspielen, wofür auch digitale Gesundheitsdaten benötigt werden.
Größtes Risiko bei der Digitalisierung in der Medizin: Datensicherheit
Neben zahlreichen Chancen birgt die digitale Medizin auch einige Gefahren. Digital gespeicherte Daten sind anfällig für Cyber-Angriffe. Wie der US-Fernsehsender CBS berichtete, haben im Jahr 2017 fast alle Gesundheitseinrichtungen in den USA bereits mindestens eine Cyber-Attacke gemeldet. Krankenakten werden unter den Cyber-Kriminellen mit 30 bis 500 US-Dollar pro Stück gehandelt, Kreditkartenangaben haben einen Wert von je 15 Cent. Das macht die Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen so attraktiv.
Im Datenschutz sieht auch Prof. Dipl. Ing. Thomas Grechenig von der Universitätsübergreifenden Forschungseinheit INSO/Industrielle Software an der TU Wien die größte Herausforderung für die digitale Medizin. Das gelte vor allem, wenn Patienten verstärkt e-Health-Dienstleistungen über das Smartphone anfordern. Handys gehören zur unsichersten heute vorstellbaren Technik, erklärt er gegenüber der Österreichischen Ärztezeitung. Für eine sichere Nutzung digitaler Medizinanwendungen sei aber nicht nur die Weiterentwicklung von Hardware und Software nötig, auch Regierungen und Gesetzgeber stehen in der Pflicht. Gesetze, etwa zur medizinischen Haftung, müssten an den neuen digitalen Alltag angepasst werden. Dabei sei stets ein Kompromiss zwischen der Anwendbarkeit des Systems und dem Datenschutz zu finden.