Rund ein Prozent der Menschen in Österreich sind von rheumatoider Arthritis (RA) betroffen. Die rheumatische Autoimmunerkrankung kann in jedem Lebensalter auftreten und betrifft Frauen etwa dreimal so häufig wie Männer. Durch die chronisch-entzündliche Krankheit kommt es zur Zerstörung von Bändern, Knorpeln und Knochen, teils auch zu Erkrankungen der inneren Organe. Betroffene leiden an schmerzhaften Schüben und müssen täglich zahlreiche Medikamente einnehmen. Dabei geht es um die Linderung der Beschwerden, denn eine Heilung gibt es nicht. Einige Studien deuten darauf hin, dass medizinisches Marihuana die chronischen Schmerzen von RA lindern, die Schlafqualität der Betroffenen verbessern und ihr Wohlbefinden unterstützen könnte.
Studienlage zu rheumatoider Arthritis und medizinischem Marihuana
Seit der Entdeckung des Endocannabinoidsystems im menschlichen Körper ist Cannabis in den Fokus der medizinischen Forschung gerückt. Dabei wird unter anderem untersucht, ob Inhaltsstoffe der alten Heilpflanze Cannabis sativa positive Wirkungen auf bestimmte Leiden haben. Bezüglich rheumatoider Arthritis gibt es zwei interessante Überblickstudien aus dem Jahr 2021.
Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2021, die mehrere Tierversuchsstudien analysierte, zeigt, dass bestimmte Inhaltsstoffe von Cannabis wie Cannabidiol (CBD), Cannabigerol (CBG) sowie die Kombination aus CBD und Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) entzündungsfördernde Moleküle (sogenannte Zytokine) reduzieren können. In von RA betroffenen entzündeten Gelenken finden sich vermehrt Zytokine, deshalb sind die proentzündlichen Moleküle ein vielversprechender Ansatzpunkt für neue Therapien. THC, der wohl bekannteste Inhaltsstoff von Marihuana, kann diesen Effekt allein nicht bewirken.
Eine zweite Studie aus dem Jahr 2021 beleuchtete die Effekte von medizinischem Marihuana auf das Schmerzniveau und die Schlafqualität von Patientinnen und Patienten der Rheumatologie, die an unterschiedlichen Erkrankungen litten. Insgesamt befragte man 319 Personen per Fragebogen. Thema war, wie sich der Konsum von medizinischem Cannabis auf ihre Schmerzen und ihren Schlaf auswirkte. Die Analyse der Antworten veranlasste das Forscherteam zum Schluss, dass sich beide Aspekte durch die Einnahme von Marihuana verbesserten.
Diese Ergebnisse bauen auf einer Studie aus dem Jahr 2006 auf, bei der an rheumatoider Arthritis erkrankte Personen mit dem Medikament Sativex behandelt wurden. Die Probandinnen und Probanden wurden bei dieser Studie in zwei Gruppen aufgeteilt: eine Versuchsgruppe und eine Kontrollgruppe. Während die Versuchsgruppe Sativex, das CBD und THC enthält, bekam, erhielt die Kontrollgruppe nur ein wirkungsloses Placebo. Im Vergleich zur Kontrollgruppe besserten sich in der Versuchsgruppe sowohl Schmerz als auch Schlaf. Die Nebenwirkungen des Mittels beschrieb die Versuchsgruppe als leicht bis mittelschwer. Seit 2011 ist das Kombipräparat Sativex in Österreich zur Behandlung von Multipler Sklerose und Spasmen zugelassen. Das Mundspray ist inzwischen sogar in den Erstattungskodex aufgenommen worden. Eine Indikationserweiterung, die RA einschließen würde, hat bisher nicht stattgefunden.
Eine Literaturstudie aus dem Jahr 2020 hat die Verwendung von Cannabis und Cannabinoiden in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen untersucht. Die Literatur-Review kam zum Schluss, dass die Behandlungsoption speziell für RA-Erkrankte aus zwei Gründen großes Potenzial zeigt. Medizinisches Marihuana kann einerseits chronische Schmerzen und andere Symptome im Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen lindern. Andererseits wird angenommen, dass Cannabinoide entzündungshemmende Eigenschaften haben. Das Forscherteam betont aber, dass weitere größer und längerfristiger angelegte Studien notwendig sind.
Neben diesen positiven Erkenntnissen aus den letzten Jahren gibt es ältere Studien, die zu weniger klaren Ergebnissen kommen. Insgesamt sind weitere Studien nötig, um das Potenzial von medizinischem Marihuana für die Behandlung von Rheuma-Erkrankungen wie RA genauer auszuloten und Ärztinnen und Ärzten die Vorteile dieser Behandlungsoption zu verdeutlichen.
Vorteile bei Behandlung von rheumatoider Arthritis mit medizinischem Marihuana
Der größte positive Effekt einer Behandlung von RA mit medizinischem Marihuana ist die Linderung der chronischen Schmerzen. Eine der größten Übersichtsstudien, die über 10.700 einzelne Studien zu den potenziellen gesundheitlichen Vorteilen und Risiken von Cannabis zusammengefasst hat, zeigt, dass medizinisches Marihuana chronische Schmerzen wirksam lindern kann. Chronische Schmerzen sind ein zentrales Symptom von rheumatoider Arthritis.
Ein weiterer potenzieller Nutzeffekt von medizinischem Marihuana bezieht sich auf die psychische Gesundheit. Die Symptomatik von RA, die Schmerzen, Entzündungen oder Schlafprobleme umfasst, kann das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Betroffenen merklich verschlechtern. Dass Menschen mit rheumatoider Arthritis verstärkt unter Depressionen und Angstzuständen leiden, wurde bereits wissenschaftlich erfasst. Eine Studie zur Wirkung von Cannabis auf die psychische Gesundheit hat gezeigt, dass medizinisches Marihuana Depressionen sowie die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) lindern kann. Dadurch könnte die Einnahme von medizinischem Marihuana die Lebensqualität von RA-Erkrankten potenziell verbessern. Bei Angststörungen ist die Datenlage nicht eindeutig. Für weitere psychische Leiden wie etwa Psychosen oder bipolare Störungen gilt Cannabis hingegen als ungeeignet.
Risiken von medizinischem Cannabis
Zu den potenziellen Risiken von medizinischem Marihuana bei rheumatoider Arthritis zählen:
- Suchtgefahr: Der Konsum von Cannabis kann zur Abhängigkeit führen, deshalb sind Arzneimittel wie Sativex, Epidiolex oder Dronabinol (gegen chronische Schmerzen) in Österreich verschreibungspflichtig.
- Psychische Gesundheit: Einige Forschungsarbeiten legen einen Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und dem Auftreten von Depressionen und Selbstmordgedanken nahe.
- Krebs: Untersuchungen suggerieren ein erhöhtes Risiko für bestimmte Arten von Hodenkrebs bei Cannabiskonsum (nicht aber für andere Krebsarten wie etwa Lungenkrebs).
- Atemprobleme: Das Rauchen von Marihuana kann das Risiko für chronischen Husten erhöhen. Die aktuelle Forschungslage lässt keine Schlüsse zu, ob es mit Asthma, COPD beziehungsweise einer generellen Verschlechterung der Lungenfunktion zusammenhängt. Arzneimittel mit medizinischem Marihuana werden nicht geraucht, sondern beispielsweise als Mundspray (Sativex), Tropfen (Dronabinol), Lösung (Epidiolex) oder als Kapsel (Canemes) eingenommen, wodurch dieses Risiko relativiert wird.