In Österreich wird häufiger von einem drohenden Fachärzte-Mangel gesprochen. Die Gründe hierfür sind sehr vielseitig: Mangelndes Interesse, attraktivere Angebote im Ausland, fehlende Studienplätze oder unbesetzte Facharzt-Ausbildungsstellen, um nur einige zu nennen. Dabei entwickeln sich die fehlenden Ausbildungsstellen immer mehr zu einem Problem, so die Österreichische Ärztekammer. Ein wesentlicher Engpassfaktor sind danach die Einrichtungen, die Plätze einfach nicht besetzen – ein Ärgernis.
Hälfte der Ärzte haben Facharzt-Titel
Laut der Österreichischen Ärztestatistik gab es Ende 2020 in Österreich 26.400 Fachärzte. Das sind rund 55,4 Prozent aller Ärzte im Land. Die Ärzteschaft insgesamt altert zusehends. Waren 1997 noch 17,4 Prozent der Ärzte älter als 55 Jahre, waren es Ende 2020 32,2 Prozent. 88,8 Prozent der im Land tätigen Mediziner stammen aus Österreich, jeder neunte aus einem anderen Herkunftsland. Bei den Turnus-Ärzten beträgt der Anteil von Turnus-Ärzten aus anderen Herkunftsländern fast ein Viertel.
In diesen Facharztrichtungen fehlen die meisten Stellen
Zahlen der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) zur Besetzung von Facharzt-Ausbildungsplätzen zeigen zum Teil erhebliche “Leerstellen” in einzelnen Fächern. In der Radiologie sind aktuell 46 Prozent der genehmigten Ausbildungsstellen nicht besetzt, im HNO-Bereich 35 Prozent, in der Dermatologie fast 30 Prozent, in der Augenheilkunde rund 28 Prozent und in der Kinderheilkunde 27,5 Prozent. Zusammen gibt es alleine in diesen Fächern fast 600 unbesetzte Stellen. Wo keine Ausbildungsstelle besetzt wird, findet logischerweise keine Ausbildung zum Facharzt statt und es werden in der Zukunft entsprechend Fachärzte fehlen.
Genehmigte Facharzt-Ausbildungsplätze bleiben unbesetzt
Es liege in vielen Fächern nicht am fehlenden Interesse, so Harald Mayer, ÖÄK-Vizepräsident und Bundeskurienobmann der angestellten Ärzte. Es gebe zunehmend Klagen von Interessenten, dass keine Ausbildungsplätze angeboten würden, obwohl entsprechende Stellen genehmigt worden seien. Die Folge sei, dass solche Mediziner dann oft ins Ausland abwanderten, wo bessere Ausbildungsbedingungen herrschten. Nicht selten seien sie dann für den österreichischen “Ärztemarkt” endgültig verloren. Allerdings ist die Lage unübersichtlich. Längst nicht in jedem medizinischen Fachgebiet existieren valide Zahlen. Unübersichtlich wird die Ausbildungssituation auch dadurch, dass im vergangenen Jahr die Zuständigkeit für die Genehmigung vom Bund auf die Länder übergegangen ist.
In der Psychiatrie und PTM fehlt es an Interessenten
Aber nicht in allen Facharztrichtungen ist die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen größer als das Angebot. In der Psychiatrie und Psychotherapeutischen Medizin (PTM) deutet sich ein genau umgekehrtes Bild an. Hier können Ausbildungsplätze nicht besetzt werden, weil es an Nachfrage fehlt. Gerade in diesem Fach sind aussagefähige Zahlen Mangelware. Trotzdem liegt der Grund für unbesetzte Ausbildungsplätze klar auf der Hand: das Interesse an einer Ausbildung zum Facharzt ist massiv zurückgegangen. Vor einer Dekade habe es noch 10 Bewerber um eine Facharztausbildungsstelle gegeben, so Dr. Manfred Müller, ÖÄK-Bundesfachgruppenobmann für Psychiatrie und PTM, heute kämen 10 Ausbildungsplätze auf einen Bewerber.
Der massive Rückgang der Nachfrage fängt laut Müller bereits beim Zugang zum Medizinstudium an und sei daher im System angelegt. Beim Aufnahmetest nach einem Studienplatz würden vor allem biologisch-naturwissenschaftlich-mathematische Kenntnisse abgefragt. Psychosoziale Kompetenzen blieben dagegen weitgehend außen vor. Bei den Fächern Psychiatrie und PTM stünden aber genau diese Kompetenzen im Fokus, während biologisch-naturwissenschaftlich-mathematische Kenntnisse weniger wichtig seien. Bereits durch dieses Auswahlverfahren würden daher schon viele Interessenten ausgeschieden.
Handlungsbedarf bei den Ausbildungsangeboten der Gesundheitsträger
Über die Verbesserung der besonderen Situation in der Psychiatrie-Ausbildung hinaus fordert Müllers Kollege Mayer eine übergreifende Ausbildungsoffensive für alle medizinischen Fächer. Dazu gehöre als erstes, die genehmigten Ausbildungsstellen tatsächlich zu schaffen und zu besetzen. Über diese kurzfristige Maßnahme hinaus sei es aber auch nötig, dass die Spitäler eigene Ausbildungsabteilungen mit einem Ausbildungsoberarzt einrichteten. Diese Forderung werde seitens ÖÄK bereits seit langem erhoben. Auch die Ausbildungskapazitäten müssten erweitert werden. Erfahrungsgemäß würden nur zwei von drei Medizin-Absolventen später tatsächlich den Arztberuf ergreifen. Die “Drop-Out-Quote” liege bei 31 Prozent.
Das liege auch daran, dass die Attraktivität des Arztberufs in Österreich deutlich nachgelassen habe. Die Zahl der Interessenten für ein Medizinstudium sei rückläufig. Neben Investitionen in die Ausbildung sei dringend eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen erforderlich. Dies bedeute zum Beispiel angemessene Arbeitszeiten, die schnellere Besetzung von Dienstposten und mehr Möglichkeiten für Teilzeit-Beschäftigung im Interesse der Work-Life-Balance. Dazu gehöre auch eine leistungsgerechte Entlohnung, die dem internationalen Vergleich standhalte. Viele österreichische Ärzte wanderten u.a. wegen der besseren Verdienstchancen ins Ausland ab.