Das Unterbringungsgesetz (UbG) gilt in Österreich seit 1991. Es regelt den zwangsweisen Aufenthalt von Menschen mit psychischen Erkrankungen auf einer psychiatrischen Abteilung im Krankenhaus. Im März 2021 hatte das Bundesministerium der Justiz (BMJ) eine Gesetzesnovelle auf den Weg gebracht, um Psychiatriepatienten mehr Rechtssicherheit zu bieten und das Selbstbestimmungsrecht zu stärken. Im Juni 2022 ging die Novelle durch den Ministerrat.
Novelle als Reaktion auf den “Brunnenmarkt-Fall”
Wer nach UbG auf einer psychiatrischen Abteilung untergebracht ist, darf diese nicht oder nur mit ärztlicher Zustimmung verlassen. Die Unterbringung ist unter drei Voraussetzungen möglich:
- Die betreffende Person ist psychisch krank.
- Es besteht eine ernste oder erhebliche Gefahr für Leben und Gesundheit der/des Betroffenen oder anderer Personen.
- Andere Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten, etwa durch Angehörige oder niedergelassene Psychiater sind ausgeschlossen.
Anlass für die Novelle des UbG gab der sogenannte Brunnenmarkt-Fall aus dem Jahr 2016. Ein 21-jähriger geistig verwirrter Obdachloser erschlug in Wien-Ottakring eine Passantin mit einer Eisenstange. Eine Sonderkommission stellte bei den Ermittlungen Defizite beim Informationsaustausch der verschiedenen beteiligten Stellen fest.
Die Gesetzesnovelle soll durch veränderte Formulierungen und eine verbesserte Struktur die Aufgaben von Polizei, einweisenden Ärzten und Fachärzten bei der Unterbringung klarer herausstellen. Zugleich soll die Novelle mehr Rechtssicherheit für Psychiatriepatienten schaffen und den UN-Konventionen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) gerecht werden.
Mehr Selbstbestimmungsrechte
Ein zentrales Ziel der Novelle besteht darin, das Selbstbestimmungsrecht von psychisch erkrankten Menschen zu stärken. Zu diesem Zweck wurden unter anderem psychiatrieerfahrene Personen in die Arbeitsgruppe des BMJ eingebunden.
Der Entwurf sieht vor, dass Personen nur noch auf eigenes Verlangen auf einer psychiatrischen Station untergebracht werden können. Das Verlangen eines gesetzlichen Vertreters reicht für die Unterbringung nicht mehr aus, auch dann nicht, wenn die betroffenen Personen noch minderjährig sind. Darüber hinaus soll gewährleistet sein, dass alle Personen, die an der Unterbringung der Betroffenen beteiligt sind, das Gespräch mit diesen suchen und ihnen Unterstützung bieten. Dazu gehören etwa die Polizei und psychiatrische Fachärzte.
Patienten erhalten weiterhin das Recht, eine Vertrauensperson oder einen Vertreter zu ernennen. Diese Person darf unter anderem bei gerichtlichen Anhörungen dabei sein. Die Einbindung von Vertrauenspersonen gehört auf einigen psychiatrischen Stationen zwar schon zur Praxis, ist nun aber rechtlich verbindlich vorgegeben. Zusätzlich werden nun auch bei der Unterbringung auf Verlangen die im Krankenhaus tätigen Patientenanwälte informiert. Das war zuvor nur bei der zwangsweisen Unterbringung der Fall. Die Patientenanwaltschaft stellt ein wichtiges Kontrollinstrument dar, um einen eventuellen Missbrauch der freiwilligen Unterbringung zu verhindern.
Besserer Rechtsschutz bei Zwangsbehandlungen
Die Novelle betrifft auch Patienten, die sich bereits in Behandlung auf einer psychiatrischen Station befinden. Menschen, denen die Fähigkeit zu selbstbestimmten Entscheidungen abgesprochen wird, dürfen derzeit noch sogenannten Zwangsbehandlungen unterzogen werden. So werden ihnen zum Beispiel unter Anwendung von Fixierungsmaßnahmen zwangsweise Medikamente verabreicht. Eine gerichtliche Überprüfung der Behandlungsmaßnahmen kann bislang nur im Nachhinein angeordnet werden.
Das soll sich mit der Gesetzesnovelle ändern: Fehlt es Patienten an Entscheidungsfähigkeit, müssen Ärzte Vertrauenspersonen zur Unterstützung hinzuziehen. Auf Verlangen kann nun zudem bereits im Vorfeld der Behandlung das Gericht eingeschaltet werden, um die Zulässigkeit der vorgesehenen Maßnahmen zu überprüfen.
Regeln für Kinder und Jugendliche
Für die Unterbringung von Kindern und Jugendlichen sieht die Novelle eigene Bestimmungen vor, sowohl als Ergänzung zu den bisher geltenden Regelungen sowie als spezielle Bestimmungen. Diese sollen unter anderem den Elternrechten einen gebührenden Stellenwert einräumen. Weiterhin schaffen sie besondere Vorgaben für den Vollzug der Unterbringung, etwa für die medizinische Behandlung und für so genannte “alterstypische Maßnahmen”. Darunter fallen Maßnahmen, die nicht zur Abwehr bestimmter Gefahren, sondern in Wahrnehmung der Aufsichtspflicht getroffen werden, zum Beispiel verschlossene Stationstüren oder Handyverbot.
Die Patientenanwaltschaft sieht in diesem Punkt noch Verbesserungsbedarf. So sollten die Maßnahmen überprüfbar sein und zeitnah den Erziehungsberechtigten mitgeteilt werden. Bewegungsbeschränkungen sollten nur im Rahmen einer gemeldeten Unterbringung erfolgen dürfen.
Neue Regelungen zum Datenaustausch
Weitere zentrale Änderungen betreffen die Kommunikation und den Informationsaustausch zwischen den an der Unterbringung beteiligten Akteuren. Der Brunnenmarkt-Fall habe gezeigt, dass Missverständnisse beim Datenaustausch zu schwerwiegenden und teils gefährlichen Entscheidungen führen könnten, so das BMJ. Mit der Novelle soll für jede Berufsgruppe gesondert festgelegt werden, wer wem welche Daten zu welchem Zweck übermitteln darf. Dabei sind die Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu beachten.
Gesetzlich geregelt werden soll auch der Datenaustausch zwischen den behandelnden Ärzten und den Stellen, die Patienten nach ihrer Entlassung sozial oder psychiatrisch betreuen. Auf diesem Wege soll ein nachhaltiger Behandlungserfolg sichergestellt werden.
Weitere Veränderungen für Rechtsschutz im Maßnahmenvollzug gefordert
An den geplanten Änderungen zum Datenaustausch gibt es durchaus Kritik. So begrüßt VertretungsNetz, ein Verein für den Schutz der Grundrechte von Menschen mit psychischen Erkrankungen oder intellektueller Beeinträchtigung, zwar grundsätzlich die Gesetzesnovelle, warnt aber zugleich vor einem Ausufern der Datenweitergabe. Zudem bemängelt der Verein den fehlenden Rechtsschutz für psychisch erkrankte Straftäter im Maßnahmenvollzug. Diese werden auch von der aktuellen Gesetzesnovelle nicht berücksichtigt.
Neben einem verbesserten Rechtsschutz hält VertretungsNetz auch den Ausbau von personellen Ressourcen für notwendig, sowohl in der stationären Psychiatrie als auch im niedergelassenen Bereich und Maßnahmenvollzug.