Erstmals hat die GÖD-Gesundheitsgewerkschaft gemeinsam mit younion Zahlen zum Pflege- und Ärztemangel in den österreichischen Spitälern erhoben. Demnach sind landesweit 2.775 Spitalbetten gesperrt. Das sind 50 Prozent mehr Betten, als im Wiener AKH insgesamt zur Verfügung stehen. Verschärft werde die Situation noch durch rund 700 offene Stellen im medizinischen Bereich.
Zahlen seien „äußerst beunruhigend“
Mitte Mai 2023 haben die GÖD-Gesundheitsgewerkschaft und younion die Ergebnisse ihrer gemeinsamen Erhebung auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Gewerkschaftsvorsitzender Rheinhard Waldhör bezeichnet die Zahlen als „äußerst beunruhigend“. So sind etwa im Pflegebereich aktuell 2.200 Stellen unbesetzt. Hinzu kommen 700 unbesetzte Stellen bei den Ärzten/-innen. Der Personalmangel führt dazu, dass 2.775 Spitalsbetten gesperrt werden müssen, da sie nicht betreut werden können. Zum Vergleich: Im Wiener AKH stehen insgesamt 1.732 Betten zur Verfügung.
Laut Waldhör steht der Pflege- und Ärztemangel derzeit erst am Anfang. Auf das österreichische Gesundheitssystem komme noch die Pensionierungswelle der Babyboomer zu, was die Situation weiter verschärfen werde.
Auswirkungen auf Personal und Patienten/-innen
Der Personalmangel hat Auswirkungen auf Pflegekräfte, Ärzte/-innen und Patienten/-innen. Aufgrund der steigenden Arbeitsbelastung bleibt dem Personal weniger Zeit für die individuelle Betreuung der Patienten/-innen, was sich unter anderem durch längere Wartezeiten auf Behandlungen und Operationen deutlich macht. Das verlängere nicht nur das Leid des Einzelnen, sondern führe auch zu höheren Kosten, sagt Waldhör. Er befürchtet, dass die derzeitige Leistungsdichte in der Pflege in Zukunft nicht mehr aufrechterhalten werden kann.
Unter dem Personalmangel leidet auch die Ausbildung
Schätzungen der GÖD-Gewerkschaft zufolge werden bis zum Jahr 2030 rund 76.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt, um das derzeitige Versorgungsniveau beizubehalten. Gerlinde Buchinger, bei der Gewerkschaft für den Themenbereich Ausbildung verantwortlich, warnt jedoch davor, dass sich der Pflege- und Ärztemangel auch negativ auf die Ausbildung des medizinischen Nachwuchses auswirke. Der Arbeitsdruck sei so hoch, dass die Aufgaben der praktischen Ausbildung vor Ort nicht mehr wie gewohnt durchgeführt werden könnten.
In der Pflegeausbildung gebe es zudem Mängel bei den Praktikumsplätzen. Unter anderem fehle es an Praxisanleitern, sodass Praktikanten/-innen ihre Anleiter nur zu Beginn und am Ende ihrer Ausbildung sehen. Eine Folge ist eine hohe kumulierte Abbruchrate von 25 Prozent für Ausbildungen im gesamten Pflegebereich.
GÖD-Gesundheitsgewerkschaft fordert nationalen Spitalsgipfel
Von Bund und Ländern fühlt sich Waldhör nicht gehört. Angesichts der dramatischen Lage fordert er ein österreichweit koordiniertes Vorgehen gegen den Pflege- und Ärztemangel. In einem offenen Brief wenden sich die GÖD-Gesundheitsgewerkschaft und das younion-Team Gesundheit an den Bundeskanzler, den Gesundheitsminister und die Landeshauptleute und rufen diese zu einem nationalen Spitalsgipfel auf. Waldhör betont, dass gerade jetzt die richtige Zeit für einen solchen Gipfel sei, da aktuell Verhandlungen zum Finanzausgleich laufen.
In ihrem offenen Brief schildern die GÖD-Gesundheitsgewerkschaft und younion die derzeitige dramatische Lage an den österreichischen Spitälern, die zur Sperrung ganzer Abteilungen und zur Zunahme der Zwei-Klassen-Medizin führe. Neben Ärzten/-innen und Pflegekräften fehlten in den Spitälern und Pflegewohnhäusern auch Arbeitskräfte aus weiteren Gesundheits- und Sportberufen. Der durch den Personalmangel steigende Arbeitsdruck führe zu Behandlungsfehlern und Schäden für Patienten/-innen.
Am nationalen Spitalsgipfel sollen, so die Forderung der Autoren, die politisch Verantwortlichen des Bundes, der Länder und Vertreter/innen der Mitarbeitenden aus den Landeskliniken aller Bundesländer teilnehmen. Gemeinsam soll über Sofortmaßnahmen wie auch über langfristige Ziele für das österreichische Gesundheitssystem diskutiert werden. Dabei seien schnelle Ergebnisse gefragt, damit die hohe Belastung des medizinischen und pflegerischen Personals nicht zu einem weiteren Rückgang an Arbeitskräften und einem nationalen Versorgungsnotstand führe.
Auch im ambulanten Bereich fehlt es an Ärzten/-innen
Der Personalmangel macht sich nicht nur im stationären Bereich bemerkbar. Bereits im Jänner 2023 berichtete die Ärztekammer, dass österreichweit fast 300 Kassenstellen unbesetzt seien, darunter 176 Stellen für Allgemeinmedizin und 124 Facharztstellen. Als Reaktion startete die Ärztekammer eine Petition mit konkreten Verbesserungsvorschlägen. Unter anderem sollen Bürokratieabbau, neue Arbeitszeitmodelle und Entlohnungsmodelle und die Ermöglichung der Medikamentenabgabe durch Ärzte/-innen zu besseren Arbeitsbedingungen führen und die Ordination für den medizinischen Nachwuchs interessant machen.