Ärztekammern kommen als Standesvertretungen wichtige Funktionen zu. Bei vielen Vorhaben im Gesundheitswesen besitzen sie ein Mitspracherecht und bei Belangen, die Ärzte/-innen betreffen, nehmen sie deren Interessen wahr. Nicht immer wird dieser erhebliche Einfluss als positiv wahrgenommen. Bei manchen Projekten mussten sich die österreichischen Ärztekammern schon harsche Kritik anhören – der Vorwurf der Reformblockade stand und steht im Raum. Heftige interne Streitigkeiten bei der mächtigen Ärztekammer für Wien könnten jetzt eine günstige Gelegenheit bieten, den Einfluss der Ärztekammern zurückzudrängen. Von Bund und Ländern soll gezielt daran gearbeitet werden.
Untreue und Betrug – heftiger Streit bei der Wiener Kammer
Die Wiener Kammer hatte zuletzt mit heftigen internen Querelen von sich Reden gemacht. Dabei geht es um den Verdacht der Untreue und Begünstigung von schwerem Betrug im Zusammenhang mit der Beschaffungsplattform Equip4Ordi (E4O). Die Auseinandersetzungen innerhalb der Führungsriege der Kammer wurden und werden auf öffentlicher Bühne ausgetragen. Im Mittelpunkt des Streits stehen der Präsident der Wiener Kammer, Johannes Steinhart und der dortige Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte, Erik Randall Huber. Steinhart war Hubers Vorgänger in diesem Amt. In seiner Amtszeit soll es zu Unregelmäßigkeiten bei der Plattform gekommen sein. Steinhart ist zugleich Präsident der österreichischen Ärztekammer. Schon daraus wird die herausgehobene Stellung der Wiener Kammer deutlich. Von den 47.674 Ärzten/-innen in Österreich mit Kammermitgliedschaft (Stand 31.12.2020) sind 13.318 oder knapp 28 Prozent in der Wiener Ärztekammer organisiert – so viele wie in keinem anderen Bundesland. Das erklärt den Einfluss der Wiener Standesorganisation im Gefüge der österreichischen Ärztekammern.
ÖKG und Wien für gemeinsame Primärversorgungsambulanzen
Bereits vor wenigen Tagen waren in Wien an der Kammer vorbei Fakten geschaffen worden. Die Wiener Gesundheitsplattform Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) und die Stadt Wien hatten sich auf eine gemeinsame Finanzierung von Primärversorgungsambulanzen in den Spitälern der Donaumetropole geeinigt. Den Ambulanzen soll auch die Möglichkeit gegeben werden, Patienten/-innen krank zu schreiben. Der Protest von Seiten der Wiener Kammer ließ nicht lange auf sich warten. Huber forderte als Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte eine umgehende Beteiligung bei Verhandlungen zu dem Thema. Vom Wiener Gesundheitsstadtrat Hacker wurde das mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen. Hacker zeigte keine Bereitschaft, die Einigung zu revidieren.
Novelle zum Primärversorgungsgesetz – schon eine erste Entmachtung
Im Zusammenhang mit der im Sommer vom Nationalrat beschlossenen Novellierung des Primärversorgungsgesetzes war schon früher von einer Entmachtung der Ärztekammern gesprochen worden. Mit dem Gesetz will Gesundheitsminister Johannes Rauch den Ausbau der Primärversorgungszentren im Land beschleunigen. Die Zahl dieser Versorgungseinheiten soll bis zum Jahr 2025 aus 125 steigen. Heute gibt es gerade mal 40 Versorgungszentren im Land. Eine wichtige Neuregelung des Gesetzes ist ein verkürztes Verfahren für die Errichtung von Primärversorgungszentren. Sind in einer Versorgungsregion zwei allgemein- oder fachmedizinische Stellen länger als sechs Monate unbesetzt, ohne dass die zuständige Ärztekammer einen Vorschlag für die Neubesetzung gemacht hat, können das jeweilige Land, die ÖGK und andere Krankenversicherungsträger gemeinsam eine Ausschreibung für ein Primärversorgungszentrum veranlassen. Die Kammer muss dann nicht mehr beteiligt werden.
Honorarverhandlungen künftig auf Bundesebene?
Der nächste Schlag gegen die Macht der Kammern deutet sich bereits an. Aus dem Bereich der Krankenkassen kam kürzlich die Forderung nach einem bundesweiten Gesamtvertrag für die ärztliche Honorierung. Da die Honorare inzwischen weitgehend harmonisiert seien, mache eine Verhandlung auf der Ebene der einzelnen Landesärztekammern wie bisher keinen Sinn mehr. Künftig solle ein entsprechender Vertrag direkt zwischen der Österreichischen Gesundheitskasse und der Österreichischen Ärztekammer verhandelt werden. Die rechtliche Grundlage dafür könne eine Vereinbarung zwischen Bund und Ländern im Rahmen von § 15a B-VG schaffen. Auf der Basis dieses Artikels treffen Bund und Länder Vereinbarungen über Angelegenheiten in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich. Die Krankenkassen-Forderung kann vor allem als Versuch gewertet werden, die mächtige Wiener Kammer auszuhebeln.