Die Wiener Ärztekammer übt abermals Kritik an einem im Februar 2024 vorgelegten Gutachten, dass eine freiwillige Verpflichtung von Medizinstudierenden grundsätzlich für möglich hält. Dem Gutachten zufolge sollen sich die Studierenden im Gegenzug zu einem bevorzugten Zugang zum Studium beispielsweise dazu verpflichten, eine gewisse Zeit im öffentlichen Gesundheitswesen zu arbeiten. Die Wiener Ärztekammer befürchtet, dass eine solche Regelung zu Nachteilen gegenüber anderen Bundesländern und dem Ausland führt.
Gutachten hält freiwillige Berufspflicht von Medizinstudierenden für möglich
Österreich fehlt es an Spitalärzten. Vergangenes Jahr erhob Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) die Forderung, junge Mediziner nach ihrem Studium für eine gewisse Zeit eine Berufspflicht aufzuerlegen. Über die Tätigkeit im öffentlichen Gesundheitswesen sollten sie der Gesellschaft einen Teil von dem zurückgeben, was sie über ihr Studium in Anspruch genommen hätten. In einem ersten Gutachten erklärte Medizinrechtler Karl Stöger (Uni Wien) eine solche gesetzlich angeordnete Berufspflicht allerdings für verfassungs- und unionsrechtlich unzulässig.
Im Februar 2024 legte Stöger nun ein zweites, von der Arbeiterkammer (AK) beauftragtes Gutachten vor, dass sich mit einer sogenannten freiwilligen Verpflichtung beschäftigt. Das klingt zunächst nach einem Widerspruch, würde aber beispielsweise dann vorliegen, wenn Studierende einen bevorzugten Zugang zum Studium erhalten und sich im Gegenzug verpflichten, eine gewisse Zeit lang in einem öffentlichen Spital oder auf dem Land zu arbeiten. Stöger hält diese Regelung, etwa über eine Landarztquote, grundsätzlich für möglich. Dabei gelte es allerdings, bestimmte Grenzen einzuhalten. So sollten nur so viele Pflichtplätze reserviert werden, wie zur Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung nötig sind. Die Bindungsdauer dürfe ebenfalls nicht zu lang sein.
Nachteile gegenüber anderen Bundesländern befürchtet
Eine derartige „freiwillige Berufspflicht“ existiert in Österreich bereits. Bis zu fünf Prozent der Studienplätze dürfen gemäß Universitätsgesetz Aufgaben im öffentlichen Interesse gewidmet werden. Verpflichten sich Studienbewerber dazu, nach dem Abschluss eine solche Aufgabe zu übernehmen, müssen sie im Auswahlverfahren nicht die besten Testergebnisse erbringen, sondern nur 75 Prozent der Punkte aller Bewerber erreichen. Von dieser Regelung macht unter anderem das Bundesheer Gebrauch.
Dieses System auszuweiten, hält die Wiener Ärztekammer allerdings für kritisch. Sie befürchtet, dass ein Wettbewerbsnachteil entstehen könnte und mehr Studierende in andere Bundesländer oder ins Ausland abwandern. Schon jetzt habe Wien im Spitalsbereich mit einer großen Abwanderungswelle zu kämpfen, da Spitalärzte in anderen Bundesländern wie dem Burgenland ein höheres Gehalt verdienen.
Wiener Ärztekammer fordert Bekämpfung struktureller Probleme
Statt eine „Berufspflicht light“ einzuführen, fordert Johannes Steinhart, Präsident der Wiener und der Österreichischen Ärztekammer, junge Mediziner über bessere Anreize zu einer Arbeit im Spital zu bewegen. Er verweist darauf, dass auch das Gutachten eine Quote für freiwillig verpflichtete Medizinstudierende nicht als Ersatz für die Aufgabe des Staates ansieht, bessere Konditionen zu schaffen. Die Ärztekammer sieht es für notwendig an, die strukturellen Probleme im Spitalswesen zu bekämpfen. Als Grundlage für bessere Rahmenbedingungen hat die Ärztekammer Wien einen 10-Punkte-Plan zur Rettung der Wiener Spitäler vorgelegt. Die vorgeschlagenen Maßnahmen umfassen unter anderem eine Ausbildungsoffensive, den Abbau von Bürokratie und eine transparente Personalbedarfsplanung.