Die Ärztekammer Wien warnt davor, dass Antibiotika-Engpässe in Österreich weiter fortbestehen. Bereits im vergangenen Herbst klagten Ärzteschaft und Apotheken darüber, dass viele Medikamente nicht mehr verfügbar waren. Aktuell fehlt es vor allem Kinderärztinnen und -ärzten an geeigneten Antibiotika gegen bakterielle Infektionskrankheiten. Die Ärztekammer fordert die Politik auf, dringend in die heimische Produktion von Arzneimitteln zu investieren.
Vor allem Kinderärzten fehlen Antibiotika
Die Lieferengpässe bei Arzneimitteln halten bereits seit längerer Zeit an. Im November 2023 waren 368 Medikamente schwer oder gar nicht zu bekommen. Zählt man unterschiedliche Verpackungsgrößen und Wirkstärken hinzu, bestanden bei 572 Präparaten Engpässe. Anfang November hat die Bundesregierung aus diesem Grund Wirkstofflager einrichten lassen, in denen unter anderem Breitbandantibiotika, Fiebersenker, Entzündungshemmer und Erkältungspräparate vorrätig gehalten werden sollen.
An speziellen Wirkstoffen fehlt es jedoch weiterhin. So klagen Wiener Ärzte und vor allem Kinderärzte, dass etwa das Mittel Ospen derzeit nicht lieferbar ist. Das Antibiotikum mit dem Wirkstoff Penicillin wird gegen bakterielle Infektionskrankheiten eingesetzt, zum Beispiel zur Behandlung von Angina bei Kindern. Da es nicht zu bekommen ist, verschreiben Ärzte als Ersatz Augmentin. Dabei handelt es sich allerdings um ein Breitbandantibiotikum, das in vielen Fällen überhaupt nicht nötig ist. Die nicht zielgerichtete Therapie mit Antibiotika erhöht insbesondere bei Kindern die Gefahr, im späteren Leben Resistenzen zu entwickeln. Erschwerend kommt hinzu, dass Augmentin derzeit nur mit polnischem Beipackzettel lieferbar ist. Dadurch steigt die Gefahr von Behandlungsfehlern zu Hause.
Ursachen für die Medikamentenengpässe
Für die Lieferengpässe, die neben Österreich auch andere europäische Länder betreffen, gibt es mehrere Ursachen: Zum einen wurde die Arzneimittelproduktion im Zuge der Globalisierung zunehmend in Niedriglohnländer wie China und Indien ausgelagert. Einige Wirkstoffe werden weltweit nur noch an ein oder zwei Standorten produziert. Kommt es an diesen Standorten zu Produktionsausfällen, etwa aufgrund nicht verfügbarer Rohstoffe oder pandemiebedingt, beeinträchtigt das die globale Versorgung. Zum anderen erfolgt auch die Lagerung häufig nicht mehr lokal in Österreich oder anderen EU-Ländern, sondern an wenigen Standorten der Hersteller im Ausland.
Ein weiterer Grund ist der Preisdruck, den die österreichischen Gesundheitskassen ausüben. Die vergleichsweise niedrigen Arzneimittelpreise machen den österreichischen Markt für viele Hersteller unattraktiv, andere Länder mit höherem Preisniveau werden bevorzugt.
Ärztekammer: Politik muss heimische Arzneimittel-Produktion fördern
Als Gegenmaßnahme gegen Antibiotika-Engpässe und Lieferschwierigkeiten bei anderen Medikamenten fordert die Wiener Ärztekammer von der Politik, verstärkt in den Ausbau der heimischen Arzneimittel-Produktion zu investieren. Als Best-Practice-Beispiel führt die Ärztekammer die Penicillin-Produktionsanlage im Tiroler Kundl an. Derartige Betriebe tragen dazu bei, unabhängiger von Lieferketten aus Übersee agieren zu können. Die Ärztekammer erwartet von Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne), sich in Brüssel für eine rasche Umsetzung des EU-Konzepts gegen Arzneimittelengpässe einzusetzen.