Anders als zum Beispiel Deutschland kennt Österreich bisher keinen Facharzt für Allgemeinmedizin. Man kann “nur” Arzt für Allgemeinmedizin werden. Angesichts des zunehmenden Mangels an Hausärzten wird aber die Einführung einer Facharztausbildung angestrebt. Das ist zumindest die Absicht der amtierenden Bundesregierung. Wir stellen die heutige allgemeinmedizinische Ausbildung vor und gehen perspektivisch kurz auf eine mögliche künftige Facharztausbildung ein.
Inhaltsverzeichnis
Arzt für Allgemeinmedizin – Tätigkeiten und Zuständigkeitsgebiet
Als Arzt für Allgemeinmedizin ist man für die medizinische Grundversorgung der Bevölkerung zuständig. Das klassische Tätigkeitsprofil ist die Arbeit als Hausarzt mit eigener Praxis “vor Ort”. Der Hausarzt ist erster Ansprechpartner bei akuten Gesundheitsproblemen und Bedürfnissen seiner Patienten.
Er führt Untersuchungen durch, stellt Diagnosen und kümmert sich um die anschließende Behandlung. In der Zusammenarbeit mit Fachärzten und Kliniken besitzt der Hausarzt zudem eine wichtige Koordinations- und Steuerungsfunktion. Zu seinen Aufgaben gehören außerdem Gesundheitsberatung und Gesundheitsförderung. Nicht selten betreuen Hausärzte Patienten über Jahrzehnte in allen gesundheitlichen Fragen. Der soziale Bezug und das persönliche Verhältnis spielen dabei eine wichtige Rolle.
Eine Hausarzt-Tätigkeit ist für Allgemeinmediziner typisch, aber nicht zwingend. Nur knapp die Hälfte der Allgemeinärzte verfügt über eine eigene Ordination. Viele Allgemeinmediziner arbeiten als Angestellte in Krankenhäusern, Reha-Kliniken, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen oder bei anderen Institutionen.
Arzt für Allgemeinmedizin – Die Ausbildung im Überblick
Rechtsgrundlage der Ausbildung ist die österreichische Ärzte-Ausbildungsordnung 2015 (ÄAO 2015). Wer selbständig als Allgemeinmediziner tätig werden will, muss grundsätzlich die in der ÄAO 2015 definierte allgemeinmedizinische Ausbildung durchlaufen. Vorbedingung ist die Eignung für eine unselbständige Tätigkeit als Turnusarzt.
Ziele
Das Ziel der Ausbildung besteht – etwas salopp formuliert – im Erwerb der “Hausarzt-Qualifikation”. Der Arzt für Allgemeinmedizin soll sich alle notwendigen Kenntnisse, Fertigkeiten und Erfahrungen aneignen, um Patienten aller Altersstufen gewissenhaft und sachgerecht betreuen zu können. Dabei geht es u.a. um medizinische Basisversorgung, Diagnostik und Krankenbehandlung, Behandlungskoordination, Vorsorge, Nachsorge, Gesundheitsförderung und Aufklärung.
Dauer und Gliederung
Die Ausbildung ist auf insgesamt 42 Monate angelegt. Sie setzt sich zusammen aus:
- 9 Monate Basisausbildung;
- 33 Monate allgemeinärztliche Weiterbildung.
Die Ausbildung findet überwiegend im Krankenhaus im Rahmen der Turnusarzt-Tätigkeit statt. Am Ende der Weiterbildung findet eine sechsmonatige (ab Juni 2022 neunmonatige, ab 2027 zwölfmonatige) Lehrzeit in einer anerkannten Lehrpraxis, in einer Lehrgruppenpraxis oder in einem Lehrambulatorium statt. Den Abschluss bildet die allgemeinärztliche Prüfung.
Sollte künftig eine Facharztausbildung eingeführt werden, dürfte sich die Ausbildungsdauer entsprechend den sonstigen Facharztausbildungen in Österreich auf sechs Jahre verlängern (9 Monate Basisausbildung + 63 Monate Fachausbildung).
Inhalte
Die Basisausbildung ist der erste Teil der ärztlichen Ausbildung und muss von allen angehenden Allgemeinärzten und Fachärzten absolviert werden. Sie dient dem Erwerb von klinischen Basiskompetenzen im chirurgischen und konservativen Behandlungsbereich. Daran schließt sich die allgemeinmedizinische Ausbildung, die sich aus dem Spitalturnus mit einer Dauer von insgesamt 27 Monaten und einer 6-monatigen Lehrpraxis zusammensetzt.
Die vorgeschriebenen Ausbildungsinhalte im Spitalsturnus decken – der Hausarzt-Tätigkeit entsprechend – ein breites Spektrum ab, konkret:
- Innere Medizin (9 Monate)
- Frauenheilkunde und Geburtshilfe (3 Monate)
- Kinder- und Jugendheilkunde (3 Monate)
- Orthopädie und Traumatologie (3 Monate)
- Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin (3 Monate)
- zwei Wahlfächer (je 3 Monate)
Folgende Wahlfächer stehen zur Auswahl:
- Anästhesiologie und Intensivmedizin
- Augenheilkunde und Optometrie
- Chirurgie
- Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde
- Haut- und Geschlechtskrankheiten
- Neurologie
- Urologie.
Entscheiden sich die angehenden Allgemeinmediziner nicht für das Wahlpflichtfach “Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde” und “Haut- und Geschlechtskrankheiten”, müssen diese Inhalte im Rahmen der Lehrpraxis abgedeckt werden.
Die allgemeinmedizinische Ausbildung umfasst im Einzelnen folgende Ausbildungsinhalte:
1. Organisation einer allgemeinmedizinischen Praxis
- Organisation der Patientinnen- und Patientenkontakte derart, dass sowohl kurzfristige Kontakte bei unselektierten Problemen als auch geplante Kontakte bei chronischen Erkrankungen möglich sind
- Umgang mit zeitgemäßer, praxisrelevanter Informationstechnologie
- Mitarbeiterorganisation
- praxisorientiertes Qualitätsmanagement und Hygiene
- Dokumentation von Befunden, Befundverfolgung, Recall
- Vorratshaltung von Hilfsmitteln und Medikamenten
- Organisation der medizinischen Betreuung außerhalb der Ordinationszeiten
- Organisation der interdisziplinären/multiprofessionellen Zusammenarbeit
- Organisation von Unterbringung bei Fremd-/Selbstgefährdung
2. Hausarztspezifische Kommunikation
- ärztliches Routinegespräch
- diagnostisches und therapeutisches Gespräch unter Verwendung des biopsychosozialen Modells und Einbeziehung kultureller und existenzieller Aspekte
- Angehörigengespräch
- telefonische Beratung und Anleitung von Patientinnen und Patienten, Angehörigen und Dritten
- Gesundheitsberatung
- ärztliches Berichtswesen, Atteste und Gutachten
3. Allgemeinmedizinische Diagnostik
- Früherkennung von Gesundheitsstörungen
- Diagnostik bei Akut- und Notfällen
- TIA Insult
- Präoperative Diagnostik
- Mini Mental Status
- Assessment bei chronischen Erkrankungen und in der Geriatrie
- diagnostische Einbeziehung des sozialen Umfeldes
- Erkennung arbeits- und umweltbedingter Faktoren
- Indikationsstellung und Bewertung von Laboruntersuchungen, Methodik und Durchführung des Basislabors
- sachgerechte Probenbehandlung von Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen sowie Einordnung der Befunde in das Krankheitsbild
- Indikationsstellung, Durchführung und Bewertung apparativer Diagnostik in der Allgemeinmedizin
- Vermeidung von Gesundheitsrisiken für Patientinnen und Patienten durch Abwägung von Nutzen und Risiken diagnostischer Maßnahmen
- Ernährungsmedizin
4. Allgemeinmedizinische Therapie
- Erstbehandlung und definitive Therapie
- Erstbehandlung unter besonderer Berücksichtigung abwendbar gefährlicher Verläufe
- Behandlung mehrfacher Beschwerden und Erkrankungen
- Schmerztherapie
- Langzeitbehandlung chronischer Erkrankungen
- Betreuung von Patientinnen/Patienten mit onkologischen Erkrankungen
- Notfallversorgung
- Versorgung Unfallverletzter und Erstversorgung chirurgischer Notfälle einschließlich der Organisation begleitender und weiterführender Maßnahmen
- Beherrschung der chirurgischen Techniken unter Anwendung der Lokal- und peripheren Leitungsanästhesie (z.B. Oberst‘sche Leitungsanästhesie)
- Behandlung mit ruhigstellenden Schienen, mit starren oder funktionellen Verbänden
- Beherrschung der instrumentellen Techniken einschließlich Infiltration, Punktionen, Infusionstechnik, Katheterisierung, Pflege von PEG-Sonden, Trachealkanülen
- Nachsorge nach Wunden
- Unkomplizierter Harnwegsinfekt
- strukturiertes Medikamentenmanagement und ökonomische Verschreibweise
- Umgang mit Arzneimittelmissbrauch und Polypharmazie
- Vermeidung von Gesundheitsrisiken für Patientinnen und Patienten durch Abwägung von Nutzen und Risiken therapeutischer Maßnahmen
- einfache physikalische Therapie einschließlich Gerätekunde
5. Betreuung chronisch kranker und multimorbider Patientinnen und Patienten
- Aufbau und Aufrechterhaltung einer Arzt-Patient-Beziehung
- Organisation integrativer Betreuungsprozesse
- Erstellung individueller Betreuungskonzepte im Hinblick auf Lebensqualität, Patientinnen- und Patientenwunsch und soziale Gegebenheiten
- Beachtung der speziellen Aspekte in der Betreuung multimorbider Patientinnen und Patienten
- Betreuung von Menschen mit besonderen Bedürfnissen
- Betreuung von Menschen mit Langzeitpflege
- Inkontinenz
- Rehabilitationsplanung
6. Koordination und Integration
- Koordination der ärztlichen Behandlungen
- gezielte Überweisung unter Berücksichtigung der regionalen Versorgungsstrukturen und -möglichkeiten
- Einbeziehung weiterer ärztlicher, pflegerischer und sozialer Hilfen in die Behandlung
- Abwägen der medizinischen Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung
- Rehabilitation und Nachsorge
- Zusammenführen, Bewerten und Dokumentation der Befunde
7. Prävention und Gesundheitsförderung
- Untersuchungen in strukturierten Programmen (z.B. Vorsorge und Mutter-Kind-Programme)
- Gesundheitsberatung
- Impfwesen
- Raucherentwöhnungsstrategie
8. Psychosoziale Betreuung
- psychosomatische Medizin
- Krisenintervention
- Beurteilung von Suizidalität
- Grundzüge der Beratung und Führung Abhängiger bzw. Suchtkranker
9. Familienmedizin
- Betreuung mehrerer Generationen
- Besonderheiten ärztlicher Behandlung von Patientinnen und Patienten im häuslichen Milieu
- Hausbesuchstätigkeit
10. Geriatrie
- Diagnostik und Therapie bei geriatrischen Patientinnen und Patienten
- Betreuung in Pflegeeinrichtungen
11. Palliativmedizin
- palliative Maßnahmen, insbesondere Schmerztherapie
- Betreuung im Team
- Betreuung pflegender Angehöriger
12. Erstellung von Zeugnissen, Attesten
13. Einschlägige Rechtsvorschriften für die Ausübung des ärztlichen Berufes insbesondere betreffend das Sozial-, Fürsorge- und Gesundheitswesen, einschließlich entsprechender Institutionenkunde des österreichischen Gesundheitswesens und des Sozialversicherungssystems
14. Gesundheitsökonomische Auswirkungen ärztlichen Handelns
15. Ethik ärztlichen Handelns
16. Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Erwachsenenschutzrecht
Bei der anschließenden Lehrpraxis-Ausbildung stehen Praxisorganisation, allgemeinmedizinische Diagnostik und Therapie, Patientenbetreuung und -kommunikation, rechtliche Aspekte, Zeugnis- und Attest-Erstellung sowie weitere praktische Fragen der allgemeinmedizinischen Fächer auf dem Programm.
Wurden die beiden Fächer “Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde” und “Haut- und Geschlechtskrankheiten” im Spitalturnus nicht gewählt, sind die Grundkenntnisse aus diesen beiden Fachbereichen in der Lehrpraxis zu erwerben.
Arztprüfung Allgemeinmedizin
Die Allgemeinarzt-Prüfung findet dreimal pro Jahr bei Landesärztekammern statt. Die Prüfungstermine sind jeweils bundesweit einheitlich. Die schriftliche Prüfung besteht aus 24 bis 26 zu bearbeitenden Fallbeispielen mit jeweils 1 bis 6 Unterfragen, die innerhalb von vier Stunden zu bearbeiten sind. In den Unterfragen geht es um Anamnese, Diagnose und Therapie des jeweiligen Falls. Die Prüfung wird nur “bestanden” oder “nicht bestanden”. Die Bestehensgrenze wird nach wissenschaftlichen Kriterien festgelegt.
Allgemeinmediziner – Gehalt
Die Verdienstmöglichkeiten als Hausarzt sind nicht schlecht. Nach Angaben des österreichischen Gesundheitsministers verdient ein selbständiger Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag im Schnitt 150.000 Euro pro Jahr. Praxiskosten und Sozialversicherungsbeiträge sind dabei bereits abgezogen, Steuern allerdings noch nicht. Trotzdem bedeutet die Selbständigkeit auch ein gewisses wirtschaftliches Risiko. Denn es sind in der Regel zunächst erhebliche Investitionen in Praxisübernahme oder -aufbau erforderlich, die sich erst amortisieren müssen.
Dem überdurchschnittlichen Gehalt stehen auch überdurchschnittliche Anforderungen gegenüber wie beispielsweise lange Arbeitszeiten, häufige Rufbereitschaft oder Wochenend- und Feiertagsdienst. Als Praxisinhaber ist man nicht nur als Arzt sondern auch als Allround-Manager gefragt. Nicht jedem liegt das.
Bei einer angestellten Tätigkeit kann man sich dagegen sehr viel stärker auf die ärztlichen Funktionen konzentrieren. Die Gehaltsperspektiven sind entsprechend bescheidener. Das Einstiegsgehalt für Allgemeinmediziner an Krankenhäusern bewegt sich bei etwa 50.000 Euro brutto pro Jahr (mit Abweichungen nach oben und unten). Zulagen und Extra-Vergütungen kommen hier on Top.
Jobs als Allgemeinmediziner
Laut österreichischer Ärztestatistik gab es Ende 2020 im Land 25.425 Allgemeinmediziner – davon sind 53,5 Prozent Frauen und 46,5 Prozent Männer
- 47 Prozent der Allgemeinärzte sind mit eigener Ordination tätig
- 46 Prozent arbeiten ausschließlich in Anstellungsverhältnissen.
- Knapp 7 Prozent der Allgemeinmediziner sind Wohnsitzärzte
Rund die Hälfte der niedergelassenen Ärzte in Österreich ist älter als 50 Jahre, 30 Prozent sind älter als 60 Jahre. Von daher wird in den nächsten Jahren für viele Arztpraxen eine Nachfolgeregelung anstehen.
Angestellte Allgemeinmediziner arbeiten in Krankenhäusern, Reha-Kliniken, Gesundheitseinrichtungen, bei Gesundheitsbehörden (zum Beispiel als Amtsarzt) oder auch in Unternehmen (zum Beispiel als Betriebsärzte). Eine Anstellungstätigkeit ist auch im Rahmen der Beschäftigung bei einem niedergelassenen Arzt als Arbeitgeber möglich. Nicht selten ist die abhängige Beschäftigung ein Zwischenschritt auf dem Weg zur Selbständigkeit. Einige Allgemeinmediziner arbeiten auch als Honorarärzte oder Vertretungsärzte – eine Möglichkeit für eine selbständige Tätigkeit ohne eigene Praxis.
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