Auf den ersten Blick scheinen die statistischen Zahlen der Aussage zu widersprechen: es herrscht Ärztemangel in Österreich. Mit mehr als 5 Ärzten pro 1.000 Einwohnern ist Österreich laut OECD-Statistik nach Griechenland das Land mit der höchsten Ärztedichte in Europa.
In Deutschland und der Schweiz kommen nur etwas mehr als 4 Ärzte auf 1.000 Einwohner. Schaut man sich die Zahlen allerdings genauer an, ist doch etwas dran am Ärztemangel in Österreich.
Hohe Ärztedichte – die Zahl relativiert sich
Eins ist richtig: die Zahl der berufsausübenden Ärzte hat sich in der Alpenrepublik insgesamt in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht – auf über 44.000 Ende 2018. Mehr als die Hälfte davon ist in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen tätig, der Rest als niedergelassene Ärzte.
Bei der im europäischen Vergleich hohen Ärztedichte bestehen allerdings statistische “Unschärfen”. Zum einen werden die sogenannten Turnus-Ärzte – Ärzte in Ausbildung – voll mitgezählt, zum anderen wird nicht berücksichtigt, dass in Österreich besonders viele Ärzte in Teilzeit tätig sind. Bei Umrechnung auf Vollzeittätigkeit würde sich die Ärztedichte auf gut 4,3 pro tausend Einwohner reduzieren, was für Europa betrachtet immer noch ein guter Wert ist.
Niedergelassene Ärzte: mehr Wahlärzte, Kassenärzte stagnieren
Differenziert sieht die Situation bei niedergelassenen Ärzten im eigenen Praxisbetrieb aus. Insgesamt gesehen gibt es zwar auch hier deutlich mehr niedergelassene Ärzte im Land als noch vor 20 Jahren. Denn ihre Zahl hat sich von rd. 12.700 Ende 1999 auf knapp 18.300 in 2018 erhöht.
Der Zuwachs ist aber praktisch ausschließlich den Wahlärzten zugute gekommen. Denn deren Zahl hat sich von ca. 4.500 auf fast 10.100 mehr als verdoppelt. Dabei stellen die Wahlärzte heute die größte Gruppe der niedergelassenen Ärzte in Österreich dar. Und das Zahlenverhältnis zu den Kassenärzten hat sich im Zeitablauf umgekehrt.
Demgegenüber stagniert die Zahl der Vertragsärzte der Gebietskrankenkassen (GKK). In 10 Jahren sind weniger als 200 Vertragsärzte zusätzlich hinzugekommen. Bei den übrigen Krankenkassen ist die Zahl der Vertragsärzte sogar rückläufig. Hier sind heute über 200 Ärzte weniger tätig als 1999. Dabei stellen die Kassenärzte das Rückgrat der medizinischen Versorgung dar.
Hingegen sind Wahlärzte nicht an Kassentarife gebunden, es gelten freie Honorarvereinbarungen. Nicht jeder Österreicher kann sich das leisten.
Viele Ärzte kommen in die Jahre
Eine weiterer Schwachpunkt der ärztlichen Versorgung ist: die österreichische Ärzteschaft weist eine ungünstige Altersstruktur auf. Viele Ärzte befinden sich in der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren. Das heißt: in absehbarer Zeit wird sich die Frage des Ruhestands stellen.
48 Prozent der niedergelassenen Ärzte erreichen binnen einer Dekade das Pensionsalter, bei Ärzten mit GKK-Vertrag sind es sogar 55 Prozent. Noch schlechter ist die Situation bei Fachärzten. Jeweils fast zwei Drittel der heutigen Orthopäden und Frauenärzte mit GKK-Vertrag werden zum Beispiel in 10 Jahren im Ruhestand sein oder an die Pensionsgrenze kommen. Schon heute arbeiten über 100 Kassenärzte jenseits der gesetzlichen Pensionsgrenze von 70 Jahren. Und es könnten künftig deutlich mehr werden.
Deutliche regionale Unterschiede
Klare Unterschiede bestehen bei der ärztlichen Versorgung in den einzelnen Bundesländern. In Wien kommen auf 1.000 Einwohner fast sieben Ärzte, überdurchschnittlich sind die Zahlen auch in Salzburg und Tirol. Am anderen Ende der Skala stehen Oberösterreich und das Burgenland mit jeweils gut vier Ärzten pro 1.000 Einwohnern.
Auch bei den Altersstrukturen findet man regionale Unterschiede. Im Burgenland, in Kärnten und Wien erreichen bis 2030 80 bis 90 Prozent der heute tätigen Ärzte die Altersgrenze, in Salzburg und Tirol sind es nur etwas mehr als 60 Prozent.
Probleme bereitet die Hausarzt-Versorgung vor allem auf dem Land. Viele Ärzte bevorzugen die Tätigkeit in der Stadt. Daher bleiben Hausarztstellen “in der Provinz” nicht selten über Monate unbesetzt. Ende 2018 waren im kassenärztlichen Bereich in Österreich 129 Stellen unbesetzt – davon 68 Stellen für Allgemein-Mediziner und 61 Facharzt-Stellen.
Bessere Arbeitsbedingungen gefordert
Die österreichische Ärztekammer schätzt den jährlichen Nachbesetzungsbedarf bei Arztstellen auf rd. 1.460 Ärzte. Eine Zahl, die durch den akademischen Nachwuchs kaum gedeckt werden kann, zumal viele Jungmediziner den Weg ins Ausland wählen.
Vor allem die Tätigkeit als Kassenarzt müsse attraktiver werden, so die Standesvertretung angesichts der stagnierenden bis rückläufigen Kassenarzt-Zahlen. Dazu gehörten Maßnahmen wie Bürokratieabbau, neue Angebote für angehende Kassenärzte und flexiblere Beschäftigungsmodelle – zum Beispiel die Möglichkeit, sich eine Kassenarztstelle zu teilen.
Um dem drohenden Ärztemangel in Österreich entgegenzuwirken, müsse auch Geld in die Hand genommen werden. Die neue österreichische Bundesregierung wird jedenfalls auf gesundheitspolitischem Feld gefordert sein.