Der Ärztemangel stellt das österreichische Gesundheitssystem vor eine große Herausforderung. Im Jänner 2023 erst hatte die Ärztekammer auf die Lücken in der niedergelassenen und kassenärztlichen Versorgung hingewiesen. Über die Frage, welche Gegenmaßnahmen ergriffen werden sollen, herrscht derweil Uneinigkeit. Die Bundesländer drängen darauf, mehr Medizin-Studienplätze zu schaffen. Gesundheitsökonomen/-innen klagen, dass die Länder selbst die Ausbildung des medizinischen Nachwuchses bremsen würden.
Ärztemangel: Bundesländer in der Pflicht
Laut Ärztekammer waren zu Jahresbeginn 300 Kassenstellen in Österreich unbesetzt und auch die Spitäler klagen über fehlendes Fachpersonal. Doch mit welchen Maßnahmen können diese Lücken geschlossen werden? Gesundheitsökonomen/-innen sehen die Bundesländer in der Pflicht. Als Spitalsträger stellen sie die Plätze für die klinische Ausbildung der Ärzte/-innen zur Verfügung. Seit dem 1. Jänner 2023 fallen dabei auch die Anerkennung von Ausbildungseinrichtungen und die Qualitätskontrolle in die Kompetenz der Länder. Zuvor oblagen diese Aufgaben der Ärztekammer. Aus Kostengründen würden die Länder allerdings so wenig Personal wie nötig ausbilden.
Dieser Ansicht ist Andreas Huss, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK). Die Spitäler würden nur die Ärzte/-innen ausbilden, die sie für den eigenen Bedarf benötigten, jedoch keine Nachwuchskräfte für die niedergelassene Versorgung. Huss fordert daher, den Krankenversicherungen ein Mitspracherecht bei der Entscheidung um Ausbildungsplätze zu gewähren. So sollten die Krankenversicherungen bei der Frage einbezogen werden, wie viele Ausbildungsstellen pro Bundesland und Spital benötigt werden, aber auch bei der Entscheidung, in welchen Fächern ausgebildet werden soll.
Diskussion um mehr Studienplätze
Die Bundesländer fordern ihrerseits, dass mehr Medizin-Studienplätze eingerichtet werden. Auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat sich für die Schaffung von mehr Anfängerplätzen ausgesprochen, um die Versorgung mit Kassenärzten/-innen sicherzustellen. Die Rektoren/-innen der Medizinischen Universitäten sehen in dieser Forderung jedoch eine Ablenkung vom eigentlichen Problem. Ein allgemeiner Ärztemangel besteht ihrer Ansicht nach in Österreich nicht. Vielmehr handele es sich um ein regionales und nationales Verteilungsproblem.
Die Argumentation der Rektoren/-innen: In Österreich kommen auf 1.000 Einwohner/innen 5,5 Ärzte/-innen – das entspricht der zweithöchsten Versorgungsdichte unter den OECD-Ländern. Auch Studienplätze stunden ausreichend zur Verfügung. Pro Jahr stellt Österreich 1.850 Anfängerplätze zur Verfügung. In der ähnlich großen Schweiz seien es nur 1.300 und in Deutschland, mit etwa zehn Mal so vielen Einwohnern, 12.000 Plätze. Bis 2028 soll sich die Zahl der Medizin-Anfängerplätze an den öffentlichen Universitäten zudem auf 2.000 erhöhen.
Das Versorgungsproblem entstünde vielmehr durch eine ungleichmäßige Verteilung des medizinischen Nachwuchses auf die unterschiedlichen Fachrichtungen sowie zwischen Stadt und Land. Statt für eine Tätigkeit im Spital oder als Kassenarzt/-ärztin entscheiden sich zudem viele Nachwuchskräfte für die lukrativere Privatmedizin. Ein bloßes Aufstocken der Studienplätze würde daran nichts ändern, aber die Qualität von Studium und praktischer Ausbildung gefährden, so die Meinung der Rektoren/-innen. Ein weiteres Risiko: Der Ausbau der Studienplätze könne dazu führen, dass die EU die Regelung kippt, der zufolge 75 Prozent der Anfängerplätze für Bewerber/innen aus Österreich reserviert sein müssen.
Bessere Rahmenbedingungen schaffen – etwa durch mehr Administrativ- und Pflegekräfte
Sozialversicherungs-Chef Peter Lehner hatte als Maßnahme gegen den Ärztemangel vorgeschlagen, Studiengebühren fürs Medizinstudium einzuführen und diese erst zurückzuerstatten, wenn die Nachwuchsärzte/-innen im solidarischen Gesundheitssystem tätig werden. Auch dieser Vorschlag stößt bei den Hochschul-Rektoren/-innen auf Ablehnung, unter anderem da die Einschränkung der Erwerbsfreiheit dem EU- und Verfassungsrecht widerspricht.
Anstatt die Zahl der Studienplätze zu erhöhen oder Studiengebühren einzuführen, sollten die Rahmenbedingungen für Ärzte/-innen verbessert werden. Das fordern sowohl die Uni-Rektoren/-innen als auch die Ärztekammer. Eine Forderung lautet, mehr Administrativ- und Pflegekräfte einzustellen. Administrativkräfte könnten den Ärzten/-innen zum Beispiel die Aufgabe abnehmen, nach freien Betten zu suchen, sodass mehr Zeit für die eigentliche Patientenversorgung zur Verfügung steht.
Strukturelle Änderungen und eine bessere Bezahlung sollen unter anderem dazu beitragen, medizinische Nachwuchskräfte im Land zu halten. 15 Prozent der Absolventen/-innen mit österreichischem Maturazeugnis entscheiden sich für eine postgraduelle Ausbildung im Ausland. Unter den deutschen und Südtiroler Absolventen/-innen wandern 45 Prozent ins Ausland ab. Im Wunschland würden sie schneller eine Ausbildungsstelle finden und zudem eine postgraduelle Ausbildung von höherer Qualität erhalten. Die von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) ausgesprochene Forderung, weniger Medizinstudenten/-innen aus Deutschland aufzunehmen, würde daher ebenfalls nicht zur Problemlösung beitragen.