Die Anamnese, aus dem griechischen Sprachgebrauch stammend anamnesis, was Erinnerung bedeutet, umfasst die professionelle Erfragung der Beschwerden von Patienten und gilt als Schlüssel zur Diagnosefindung von Krankheiten. Ebenfalls kann die Anamnese auch Teil der Therapie sein. Sie stellt häufig den ersten Kontakt zwischen Arzt und Patient dar und legt den Grundstein für eine Arzt-Patienten-Beziehung fest. Wie gestaltet sich ein gutes Anamnese-Gespräch?
Inhaltsverzeichnis
Was ist eine Anamnese?
Der Begriff „Anamnese“ stammt aus dem Griechischen ab und bedeutet übersetzt Erinnerung. Im klinischen Alltag ist die Anamnese das (Erst-)Gespräch zwischen einem Arzt und einem Patienten – in diesem erfolgt die Erhebung der medizinischen Vorgeschichte des Patienten, der aktuellen Beschwerden und der Entwicklung des Krankheitsverlaufs. Auch die Berufsanamnese, Familienanamnese sowie Reiseanamnese spielen neben der Erfragung der körperlichen Beschwerden eine wichtige Rolle in einem Anamnesegespräch.
Die Anamnese ist nicht nur der Schlüssel zur Diagnosefindung, sondern kann auch Teil einer Therapie sein: Sofern der Grundstein für eine gute Arzt-Patienten-Beziehung gelegt ist und der Patient sich imstande sieht, sich dem Arzt ohne Scham anzuvertrauen, kann der Patient frei über seine Beschwerden sprechen, was ebenfalls eine starke Entlastung bedeuten kann.
Grundlagen der Anamneseerhebung
Die Anamnese, der Erstkontakt zwischen Arzt und Patient, entscheidet über eine gute Arzt-Patienten-Beziehung. Folgende Voraussetzungen sollten unter anderem berücksichtigt werden:
- ungestörte Atmosphäre: Die Anamneseerhebung sollte in einem ruhigen Raum ohne Mitpatienten geführt werden. Im klinischen Alltag, insbesondere in Notfällen, ist dies oft schwierig umzusetzen. Eine ruhige Atmosphäre impliziert aber, dass sich ausschließlich auf das Anliegen des Patienten gewidmet wird, was wichtig ist
- den Wunsch auf die Anwesenheit einer Bezugsperson des Patienten sollte der Arzt beherzigen; eine Bezugsperson kann dem Patienten Sicherheit geben
- bei Kindern vor dem 14. Lebensjahr ist die Anwesenheit von Erziehungsberechtigten zwingend erforderlich und kann auch die Anamnese erleichtern
- bei bestehender Sprachbarriere zwischen Arzt und Patienten ist ein Übersetzer zu organisieren, aber auch Angehörige bzw. Bezugspersonen können unter Umständen für ein besseres Verständnis sorgen
- neben der gründlichen Anamnese, die nach einem festen Schema durchgeführt werden sollte, ist auch die sorgfältige Dokumentation wichtig, damit wichtige Informationen nicht in Vergessenheit geraten können und sich auch andere fachärztliche Kolleginnen/Kollegen ein Bild von der Eingangsanamnese machen können
Im Hinblick auf die Anamnese wird zudem zwischen Eigenanamnese und Fremdanamnese unterschieden: Bei der sogenannten Eigenanamnese berichtet der Patient über seine Beschwerden und eigene Krankheitsgeschichte während in der Fremdanamnese die Angaben von Angehörigen des Patienten gemacht werden. In den Fachabteilungen Pädiatrie, Geriatrie und Psychiatrie kann die Fremdanamnese wichtige Hinweise liefern und in der Diagnosefindung und beim Therapieansatz weiterhelfen.
Inhalt der Anamnese
In der Regel ist ein häufiger Vorstellungsgrund von Patienten beim Arzt das Vorhandensein von Schmerzen und weiteren Leitsymptomen, die der Arzt detailliert in Erfahrung bringt. Folgende Punkte werden hierbei geklärt:
- Lokalisation
- Art des Auftretens: akut oder schleichend im Verlauf von Wochen/Monaten
- Verlauf der Schmerzen
- Ausstrahlung
- Zusätzliche Symptome
- Stärke der Schmerzen
- Art/Qualität der Schmerzen: zum Beispiel stechend, brennend, stumpf
- Dauer der Schmerzen
- Faktoren, die Erleichterung bringen
- Faktoren, die die Schmerzen verstärken
Im weiteren Verlauf wird auf die Vorgeschichte des Patienten eingegangen und folgende Informationen erhoben:
- Vorerkrankungen
- Voroperationen
- Allergien
- Unverträglichkeiten
- Impfstatus
- Medikamentenanamnese
Anschließend steht die vegetative Anamnese im Vordergrund. Aufgelistet zu nennen sind hierbei die Erfragung von:
- Appetit
- Durst
- Gewicht (BMI, schnelle/unbeabsichtigte Gewichtverlust oder Gewichtszunahme in letzter Zeit)
- Fieber
- Nachtschweiß
- Stuhlgang (Frequenz, Durchfall, Obstipation, Änderung der Stuhlgewohnheiten)
- Aussehen des Stuhls (Blutbeimengungen, schwarzer Stuhl/Teerstuhl, heller weißer Stuhl/acholischer Stuhl, lehmartiger Stuhl)
- Miktion (Frequenz, Menge, Aussehen, Nykturie, Inkontinenz)
- Atmung (trockener Husten, Husten mit Auswurf, Luftnot)
- Schlaf (Ein- und/oder Durchschlafstörungen)
- Sexualität (Potenzstörungen)
- ggf. gynäkologische Anamnese (Menstruation, Menarche/Menopause, Schwangerschaften und Geburten)
Zum Abschluss der Anamnese werden Genuss- und Suchtanamnese durchgeführt, Fragen zum Konsum von Alkohol, Nikotin und weiteren Drogen werden gestellt. Darüber hinaus ist auch die Familien- und Sozialanamnese von entscheidender Rolle.
Hier kommt es zur Erfragung von:
- Beruf und aktuell ausgeübte Tätigkeit
- Familiäre Situation
- Erkrankungen in der Familie
- Reiseanamnese
- körperliche Aktivität
- besondere Belastungssituationen in der Vergangenheit (bei Verdacht auf psychopathologische Auffälligkeiten)
Die Verwendung von Anamnese- und Untersuchungsbogen
Der klinische Alltag ist geprägt von Zeitmangel. Um in einem Anamnesegespräch keine wichtige Frage oder Untersuchung aufgrund von Zeitdruck vergessen zu haben, bieten Anamnese- und Untersuchungsbögen eine Hilfestellung und kommen gerne zum Einsatz, um strukturiert eine Anamnese durchzuführen und direkt sorgfältig dokumentieren zu können. Auf dem Anamnese- und Untersuchungsbogen sind alle Fragen stichwortartig aufgelistet, die strukturiert wie beim Durchgehen einer Checkliste „abgearbeitet“ werden können.
Anamnese in der Akutsituation: SAMPLE(R)-Schema
Das SAMPLE-Schema ist ein Akronym bzw. eine Merkhilfe, die insbesondere in der Versorgung von kritisch kranken Patienten bzw. Patienten, die ein Polytrauma erlitten haben, zum Einsatz kommt. Bei der Übergabe des Patienten geht man nach dem SAMPLE(R)-Schema vor – die Akronyme bedeuten im Einzelnen:
S = Signs/symptoms
A = Allergies
M = Medications
P = Past medical history
L = Last oral intake
E = Events preceding
(R) = Risk factors
Bei der fokussierten und strukturieren Informationsweitergabe bei der Patientenübergabe unter Berücksichtigung des oben genannten Schemas kann Informations-Verlust vermieden werden.
Dokumentation
Die Erfassung der Patientengeschichte inklusive aller wichtiger Informationen, die im Anamnesebogen erfolgt, hat sowohl medizinische Relevanz als auch forensische Relevanz. Der ausgefüllte Anamnesebogen dient als ein fester Bestandteil der Krankenakte. Im heutigen klinischen Alltag können die anamnestischen Angaben auch in digitaler Form in einem Computersystem erfasst werden.