Der Austrian Health Report 2022 stellt eine echte Premiere dar. Zum ersten Mal sind im Rahmen einer umfassenden Erhebung verschiedene Aspekte des Gesundheitswesens, der Gesundheitsversorgung und des Gesundheitsbefindens in Österreich erfasst worden. Die Ergebnisse liegen seit Anfang Juli vor und zeichnen ein vielschichtiges Bild ab.
Inhaltsverzeichnis
- Mancher fühlt sich nach Corona weniger gesund
- Wer hat während der Pandemie besonders gelitten?
- Infektionsgeschehen und persönliche Betroffenheit
- Pandemie-Effekte bei Einkommen und privaten Finanzen
- Corona beeinträchtigt die gesundheitliche Versorgung
- Begrenzte Medikamenten-Erfahrung, aber ...
- Defizite beim Zugang zum Gesundheitssystem
- Interessante Momentaufnahme - Bedarf an Fortschreibung
- Austrian Health Report - wer ist Auftraggeber und Auftragnehmer?
Interessant ist die Untersuchung vor allem deswegen, weil sie vor dem Hintergrund der allmählichen Überwindung der Corona-Pandemie durchgeführt wurde. Teilnehmer konnten damit erstmals in einer Art “Ex-Post-Betrachtung” zu den Pandemie-Folgen befragt werden. Corona hat sich auf das Gesundheitswesen und das persönliche Gesundheitsbefinden massiv ausgewirkt und es gibt auch noch “Nachwirkungen”. Das zeigt die Untersuchung ganz deutlich. Hier ein Überblick über die wichtigsten Erkenntnisse des Reports.
Mancher fühlt sich nach Corona weniger gesund
Gut 70 Prozent der Befragten bewerteten den persönlichen Gesundheitszustand als “gut”, 19 Prozent bezeichneten ihn sogar als “sehr gut”. Damit fühlt sich die große Mehrheit der österreichischen Bevölkerung ziemlich oder sehr gesund – ein erfreuliches Ergebnis. Auffällig ist allerdings, dass die Bewertung “sehr gut” seltener genannt wird als bei Umfragen vor der Pandemie. 2019 hatten noch 36 Prozent der Befragten die Note “sehr gut” vergeben. Interessant ist auch, dass mit steigendem Alter die Einschätzung des persönlichen Gesundheitszustands positiver wird, angesichts von “Alters-Malaisen” könnte man das Gegenteil erwarten. Ein Drittel der Altersgruppe 60+ fühlt sich “sehr gesund”, bei den 18- bis 29-jährigen ist es nur jeder Fünfte.
Wer hat während der Pandemie besonders gelitten?
Die junge Generation ist es auch, die sich durch die Pandemie besonders beeinträchtigt sieht. 41 Prozent der Befragten aus der Altersgruppe 18 bis 29 haben “eher” oder “sehr” das Gefühl, durch Corona in ihrem Leben etwas versäumt zu haben. In der Altersklasse 60+ sagen das nur 23 Prozent. Das ist nachvollziehbar: jenseits der 60 hat man einen anderen Blick auf das Leben als in jungen Jahren und tatsächlich haben die Corona-Maßnahmen gerade jüngere Menschen in der gewohnten Bewegungsfreiheit und bei Kontaktmöglichkeiten beschnitten.
Infektionsgeschehen und persönliche Betroffenheit
Viele Befragte mussten Corona am eigenen Leib erfahren. 46 Prozent haben sich infiziert, 8 Prozent sogar mehrfach. Besonders infektionsbetroffen zeigt sich wiederum die jüngere Generation unter 30. Hier waren 60 Prozent schon mal mit dem Corona-Virus infiziert. 22 Prozent gaben an, von Long Covid betroffen (gewesen) zu sein, bei 9 Prozent wurde das explizit ärztlich diagnostiziert. Jüngere stellen auch überproportional häufig Corona-Folgebeschwerden bei sich fest: Müdigkeit/Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen, Erschöpfungsgefühle, Konzentrationsschwierigkeiten oder innere Unruhe bis hin zu depressiven Verstimmungen.
Pandemie-Effekte bei Einkommen und privaten Finanzen
Neben den gesundheitlichen Auswirkungen hatte die Pandemie für viele Befragte spürbare wirtschaftliche Folgen. Die Untersuchung weist darüber hinaus darauf hin, dass zwischen Gesundheitsbefinden und wirtschaftlicher Situation ein Zusammenhang bestehen könnte.
Nur eine Minderheit der Befragten – 38 Prozent – gibt an, in den vergangenen beiden Pandemie-Jahren mit dem verfügbaren Haushaltseinkommen gut zurechtgekommen zu sein. Jeder Fünfte sagt das Gegenteil: das Einkommen reichte nicht oder so gerade für die anfallenden Ausgaben. Besonders finanziell belastet sehen sich vor allem jüngere Menschen und Familien mit Kindern. 40 Prozent der Befragten mussten in den vergangenen beiden Jahren ihre Ausgaben spürbar einschränken, 37 Prozent waren gezwungen, auf Erspartes zurückzugreifen und 17 Prozent benötigten finanzielle Unterstützung von Verwandten oder Freunden.
Eine verblüffende Erkenntnis des Reports: Gesundheit korreliert offenbar mit dem Einkommen. Wer ein Einkommen über 3.500 Euro netto monatlich bezieht, leidet nur mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa einem Drittel an chronischen oder länger dauernden Erkrankungen. Bei Einkommensbeziehern unter 3.500 Euro sind es 45 Prozent. Nähere Erhebungen zu den Ursachen wurden im Rahmen der Untersuchung nicht durchgeführt. Eine interessante Aufgabe für eine eigene Studie!
Corona beeinträchtigt die gesundheitliche Versorgung
Das Pandemie-Geschehen hat das Angebot und die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen massiv beeinflusst. Operationen wurden wegen der Behandlung von Corona-Patienten verschoben und viele Befragte verzichteten wegen der Angst vor Ansteckung auf einen Arztbesuch. In Zahlen heißt das konkret: 29 Prozent der Teilnehmenden gaben an, trotz Krankheitsgefühl in den beiden letzten Jahren schon mal nicht zum Arzt gegangen zu sein. Fast genauso viele – 28 Prozent – verzichteten auf Routineuntersuchungen und Vorbeugemaßnahmen. Bei 20 Prozent wurden Behandlungen bzw. Therapien nicht oder seltener durchgeführt, 9 Prozent mussten länger auf eine OP warten oder die Operation fand gar nicht statt. Bei chronisch Kranken sagte mehr als jeder fünfte, die Behandlung des eigenen Leidens sei erschwert gewesen.
Begrenzte Medikamenten-Erfahrung, aber …
Die meisten Österreicherinnen und Österreicher nehmen zumindest zeitweise Medikamente ein. Nur 5 Prozent kommen laut Befragung ganz ohne Arzneimittel aus. 25 Prozent der Befragten sagen, sie haben “viel” bzw. “sehr viel” Erfahrungen mit Medikamenten, für 75 Prozent trifft das nicht zu. Weniger als die Hälfte der Bevölkerung (43 Prozent) weiß, was Generika sind. Bei den unter 30-jährigen ist es nur jeder Siebte, die Generation 60+ weiß es mit 62 Prozent besser. Bei Biosimilars – Nachahmerprodukten von Biopharmazeutika – herrscht dagegen allgemeines Unwissen. Nur 4 Prozent konnten mit dem Begriff etwas anfangen.
… hohes Vertrauen in Medikamente aus heimischer Produktion
Bei Medikamenten besteht das größte Vertrauen in Erzeugnisse aus heimischer oder europäischer Produktion. Fast zwei Drittel der Befragten vertrauen solchen Medikamenten mehr als pharmazeutischen Produkten aus dem Nicht-EU-Raum. Wenig überraschend spricht sich eine große Mehrheit für eine stärkere Unabhängigkeit Österreichs bei der Pharmaherstellung aus. Für 61 Prozent ist das “sehr wichtig”, für weitere 25 Prozent immerhin noch “eher wichtig”. Andere wichtige Themen bei Medikamenten: Generika und Nachhaltigkeit.
Defizite beim Zugang zum Gesundheitssystem
Nicht jede Österreicherin und nicht jeder Österreicher ist der Meinung, einen guten Zugang zum Gesundheitssystem zu haben oder gut über Gesundheitsfragen informiert zu werden. Einige Gruppen fühlen sich besonders benachteiligt: jüngere Menschen, Familien mit Kindern und Geringverdienende. Hier besteht offenbar noch Verbesserungsbedarf.
Interessante Momentaufnahme – Bedarf an Fortschreibung
Insgesamt bietet der Austrian Health Report eine interessante Momentaufnahme zur Gesundheits-Befindlichkeit im Land – zu einem Zeitpunkt, da Corona viel von seinem Schrecken verloren hat, aber nicht aus der Welt ist. Zwischenzeitlich ist das Land mit ganz neuen Belastungen konfrontiert: dem Ukraine-Krieg und seinen Folgen, Energiepreisschocks und hoher Inflation sowie einer drohenden Rezession. Diese Belastungsfaktoren werden nicht ohne Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Gesundheitsversorgung und Gesundheitsempfinden bleiben. Für eine Fortschreibung des Austrian Health Reports im kommenden Jahr gibt es daher viele gute Gründe.
Austrian Health Report – wer ist Auftraggeber und Auftragnehmer?
Der Gesundheitsreport wurde vom Institut für empirische Sozialforschung GmbH – IFES – in Wien durchgeführt. Dazu wurden im Frühsommer dieses Jahres mehrerer repräsentative Umfragen durchgeführt. Für Vergleichszwecke zog man zusätzlich Umfragen mit ähnlichen Fragestellungen aus früheren Jahren heran. IFES ist eine anerkannte Institution für Markt- und Meinungsforschung in Österreich. Auftraggeber des Reports ist Sandoz Österreich. Unter der Traditionsmarke Sandoz hat der Schweizer Pharmakonzern Novartis 2003 seine Generika-Aktivitäten zusammengefasst. Im Rahmen eines geplanten Börsengangs soll Sandoz demnächst von Novartis abgespalten werden und dann eigene Wege gehen. Dem Thema Gesundheit wird man dabei sicher weiter verpflichtet bleiben.