Der Druck und Stress nimmt für Ärztinnen und Ärzte im Berufsalltag zu. Das erhöht das Risiko von Behandlungsfehlern. Wenngleich sie nur selten vorkommen, so schwerwiegend können sie für Patientinnen, Patienten und Ärzte sein. Deshalb beschäftigen sich Ärztekammern sowie Forscher ausgiebig mit dem Thema Patientensicherheit. Dabei werden die persönlichen Folgen für Ärzte nicht vergessen, aufgrund deren sie nach Behandlungsfehlern häufig nur schwierig wieder in den normalen Arbeitsalltag zurückfinden.
Der Patientensicherheitsforscher Prof. Dr. Reinhard Strametz hat auf einem Ärztekongress 2022 erklärt, wie Ärzte damit umgehen sollten, um aus Behandlungsfehlern lernen zu können.
Behandlungsfehler: Der Fall in die Krise
Die Furcht aller Ärzte ist, einen Patienten falsch zu behandeln. Das kann lebensgefährliche Konsequenzen für ihre Patienten nach sich ziehen. Wenn es dann passiert, fallen rund zwei Drittel der Betroffenen in ein tiefes Loch, und folgende Reaktionen sind unter ihnen weit verbreitet, wodurch das Fehlerrisiko weiter steigt und die Leistungsfähigkeit drastisch sinkt:
- Vertrauensverlust in die eigenen medizinischen Fähigkeiten
- Schuldgefühle
- Schlafstörungen
- Handlungsblockaden im Berufsalltag durch Flashbacks
- Rückzug aus dem sozialen Umfeld
- Depressionen
- Flucht in eine Medikamenten- oder Alkoholsucht
Das Team ist gefragt
Betroffene Ärzte zweifeln nach Behandlungsfehlern meist nicht nur an sich und ihrer beruflichen Qualifikation, sondern ihnen macht auch das Ansehen als Arzt im persönlichen Umfeld sowie unter den Kollegen und Mitarbeitern zu schaffen. Deshalb betont der Patientensicherheitsforscher Prof. Dr. Reinhard Strametz die Wichtigkeit des richtigen Handels und Umganges durch die Familie und insbesondere des beruflichen Teams zur Minderung der negativen Traumata-Effekte.
Auszeit anbieten
Betroffene Ärzte sollten nach einem Behandlungsfehler einige Tage Urlaub erhalten, um vom „Ort des Geschehens“ Abstand zu bekommen. Ohne den lokalen Einfluss gelingt vielen Betroffenen die Verarbeitung der Geschehnisse leichter.
Von einer längeren oder gar dauerhaften Arbeitspause ist abzusehen, denn zu viel Freizeit fördert das Aufkommen negativer Aspekte, während der zügige Weg zu beruflichen Verpflichtungen eine wichtige Chance zur Rückkehr in den normalen Berufsalltag darstellt.
Regelmäßige Kollegengespräche
Setzt sich eine Gruppe aus Ärzten regelmäßig für fachliche Gespräche an den Tisch, schafft das Vertrauen, Sicherheit und Zusammengehörigkeit. Kommt bei einem Kollegen ein Behandlungsfehler vor, finden Betroffene dort kompetente Ansprechpartner für seine Sorgen und Ängste. Deshalb ist es wichtig, kollegiale Gespräche regelmäßig in festen Abständen zu führen und nicht nur bei aufkommenden Problemen eines Kollegen.
Nachbesprechungen
Hat ein kollegiales Gespräch stattgefunden, sollten kurze, effektive Nachbesprechungen folgen. In diesen können noch bestehende Belastungen sachlich diskutiert werden und Betroffenen die „Wiedereingliederung“ erleichtern.
Gesprächsführung und Gesprächsinhalte
Schuldzuweisungen sind Betroffenen gegenüber zu unterlassen, denn sie sind nicht zielfördernd. Besser ist eine empathische Gesprächsführung, die von einer klaren, leicht verständlichen Sprache ohne lange Ausschweifungen begleitet wird. Raum für Emotionen und Ängste sollte vorhanden sein und keinem Zeitdruck unterliegen. Die Gesprächsinhalte sollten faktenbasiert sein und die Bestätigung fachlicher Kompetenz sowie die Stärkung des Selbstwertgefühls Betroffener umfassen.
Fachliche Unterstützung
Für betroffene Ärzte ist es oftmals hilfreich, wenn sie Rückhalt durch Kollegen spüren, die sie im Berufsalltag nach einer Krisensituation fachlich unterstützen und bei Bedarf als rückversichernde Ansprechpartner im Klinik- oder Praxisalltag zur Verfügung stehen.
Behandlungsfehler analysieren und diskutieren
Der effektivste Weg für eine Trauma-Bewältigung ist das Verstehen. Betroffene plagen sich häufig mit den Fragen: Warum, wieso, weshalb? Kennen sie aber die auslösenden Faktoren, fällt ihnen die Akzeptanz leichter, weil sie nun wissen, wie sie diese in Zukunft vermeiden können. Sie können wieder Selbstvertrauen in ihre ärztlichen Fähigkeiten gewinnen und selbstsicherer den Arbeitsalltag meistern. Dazu verhilft eine Fehleranalyse, bei der Betroffene einbezogen und über die Ergebnisse informiert werden.
Zurück zum normalen Berufsalltag
Der Weg zurück in den Berufsalltag ist für zahlreiche Ärzte nach einem Behandlungsfehler schwierig genug. Fragende Blicke, Gerede hinter dem Rücken, Ausschluss von üblichen Gruppendynamiken oder gar Mobbing sind zu unterlassen und gegebenenfalls durch höhere Stellen zu unterbinden. Auch die Isolierung von Betroffenen sollte verhindert werden, indem Mitarbeiter und Kollegen Integration betreiben.
Aus Behandlungsfehlern lernen
Wenn sich Kollegen aus der Ärzteschaft die Zeit nehmen, betroffene Kollegen zu unterstützen und gemeinsam dem Ursprung von Behandlungsfehlern auf den Grund gehen, lernen sie auch gemeinschaftlich aus diesen. Fehleranalysen und deren Ergebnisse tragen dazu bei, wie diese zukünftig vermeidbar sind, denn schließlich könnte morgen auch ein anderer Arzt eine Fehlentscheidung treffen.
Auch das Miteinander ist Teil eines Lernprozesses für alle Ärzte. Sie sind alles auch nur Menschen, und Fehler passieren, wenngleich sie in der Medizin fatale Folgen haben können. Aber sie sind nicht automatisch ein Anzeichen für mangelhafte Fachkompetenz. Deshalb besteht auch kein Grund, Ärzten nach einer Fehlentscheidung in ihrem eigenen Gefühl der Inkompetenz zu bestärken. Vielmehr sollten Ärzte aus Behandlungsfehlern anderer Kollegen lernen, wie vielfältig die Ursachen sein können und gestärkt daraus hervorgehen, um zukünftig gleiche Fehlentscheidungen zu vermeiden.