Statistik Austria zufolge geht die Zahl der Patienten, die jährlich an Krebs versterben, seit rund zwei Jahrzehnten kontinuierlich zurück. Neben einer früheren Diagnosestellung sind auch bessere Therapiemöglichkeiten für die höheren Überlebenschancen von Krebspatienten verantwortlich. Große Erfolge verspricht vor allem die Präzisionsmedizin, auch als personalisierte Medizin bezeichnet. Diese Therapieverfahren identifizieren individuelle Tumormerkmale, sogenannte Biomarker, um maßgeschneiderte Behandlungen zu ermöglichen.
Weniger Patienten versterben an Krebs
Laut Statistik Austria dokumentierte man für das Jahr 2018 in Österreich 42.219 Krebs-Neuerkrankungen. Bei Männern ist bereits seit 1994 Prostatakrebs die häufigste Krebserkrankung, mit 6.018 Fällen im Jahr 2018. Bei den Frauen steht ebenfalls seit vielen Jahren Brustkrebs an erster Stelle der häufigsten Krebserkrankungen. Für das Jahr 2018 verzeichnete man 5.565 neue Fälle. Bei rund 20.000 Patienten (9.373 Frauen und 11.058 Männern) endete die Krebserkrankung tödlich. Damit lassen sich rund ein Viertel der jährlich in Österreich verzeichneten Todesfälle auf Krebs zurückführen. Allerdings bemerken die Statistiker auch, dass sowohl die Zahl der Neuerkrankungen als auch das Sterblichkeitsrisiko seit Jahren zurückgeht. Bei Männern liegt das Risiko, bis zu ihrem 75. Lebensjahr an einem bösartigen Tumor zu erkranken, im Jahr 2018 bei 32,4 Prozent, für Frauen beträgt es 23,6 Prozent. Im Jahr 2000 lag das Risiko für Männer noch bei 39,8 Prozent, für Frauen bei 25 Prozent.
Das Sinken der Sterblichkeitsrate führen Onkologen unter anderem auf eine bessere Früherkennung, aber auch auf neue Behandlungsmethoden zurück. Vor allem der sogenannten Präzisionsmedizin wird ein großer Erfolg zugesprochen. Bei der Präzisionsmedizin handelt es sich um Behandlungskonzepte, die auf spezifische Merkmale jedes einzelnen Tumors eingehen. Dafür werden etwa die Mutationen der jeweiligen Krebszelle analysiert, chirurgische und radiotherapeutische Eingriffe auf individuelle Voraussetzungen abgestimmt und persönliche Konzepte für die Nachsorge entwickelt. Auch die Auswertung von Diagnoseergebnissen mittels „Big Data“ zählt zur Präzisionsmedizin.
Onkologie als Vorreiter der Präzisionsmedizin
Die Onkologie gilt als Wegbereiter und Vorreiter der Präzisionsmedizin. Die personalisierte Medizin wird bei der Diagnosestellung auf Aufarbeitung zahlreicher Tumorarten bereits routinemäßig eingesetzt. Vor allem bei Brustkrebs und Eierstockkrebs wird das bösartig veränderte Gewebe auf molekularer und immunologischer Ebene analysiert, um spezifische Biomarker zu erkennen und maßgeschneiderte Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Auch bei Darm- und Lungenkrebs, Schilddrüsen- und Kopf-Hals-Tumoren sowie bei Leukämie gehören präzisionsmedizinische Methoden mittlerweile zum Standard. Bei selten Tumorarten hilft Präzisionsmedizin ebenfalls dabei, Prognosen besser abschätzen zu können und Therapien individueller zu planen. Für Patienten bedeuten maßgeschneiderte Therapien auf molekularbiologischer oder technologischer Ebene oft weniger Beschwerden, mehr Lebensqualität und eben ein geringeres Sterblichkeitsrisiko.
Mediziner am Comprehensive Cancer Center (CCC) der MedUni Wien und der AKHWien entwickelten zum Beispiel eine spezielle Strahlentherapie für Gebärmutterhalskrebs, mit welcher die lokale Tumorkontrolle um 15 Prozent verbessert werden konnte. Forscher an der MedUni Wien konnten mithilfe präzisionsmedizinischer Methoden außerdem die Ursache einer entzündlichen Hauterkrankungen klären, die bei der Blockade des EGF-Rezeptors als Nebenwirkung auftritt. Diese Blockade wird genutzt, um die Zellteilung von Krebszellen und damit das Tumorwachstum zu verhindern.
Krebs: Fortschritt in der Medizin kommt auch anderen medizinischen Bereichen zugute
Die Fortschritte aus der Onkologie kommen auch anderen medizinischen Bereichen zugute. Ein Beispiel dafür sind die mRNA-Impfungen, die man gegen COVID-19 entwickelt hat. Onkologen arbeiten schon länger an mRNA-basierten Therapien. Mittels mRNA lassen sich genetisch fremde Baupläne in die Zelle einschleusen. Die Zelle setzt diese Baupläne in Proteine um. Das körpereigene Immunsystem erkennt diese Proteine als Antigene und reagiert entsprechend. Krebszellen lassen sich auf diese Weise per Immunabwehr bekämpfen. Dieses Prinzip machen sich nun auch die Corona-Impfungen zunutze. Durch die Vorarbeit aus der Onkologie konnte man die Impfstoffe besonders schnell und effizient entwickeln.
Chancen und Risiken der Präzisionsmedizin
Die medizinische Forschung setzt weiterhin große Hoffnungen in die Präzisionsmedizin. Um die Diagnose und Behandlung von Krebs voranzutreiben, plant die MedUni Wien für 2022 die Eröffnung eines Zentrums für Präzisionsmedizin. Der Fokus des neuen Zentrums soll auf biomedizinischer Forschung, Genom-Technologie, Bioinformatik und IT sowie auf der Durchführung klinischer Studien liegen.
Mediziner sorgen sich jedoch auch um mögliche Risiken, die mit der personalisierten Medizin einhergehen. Da für Diagnose, Therapie und Nachbehandlung die individuellen Merkmale einzelner Patienten herangezogen werden, kann man für die Beurteilung von Nutzen und Risiken keine großangelegten Studien anfertigen. Einige Ärzte befürchten daher, dass bei der Zulassung präzisionsmedizinischer Verfahren geltende wissenschaftliche Standards unterlaufen werden. Ein Arbeitskreis des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer erarbeitete eine Stellungnahme, die auf diese Sorge eingeht. Die Autoren fordern unter anderem, dass für die Bewertung präzisionsmedizinscher Verfahren vergleichbare Anforderungen gestellt werden müssen wie an die Evidenz anderer Verfahren und Arzneimittel.