Wie sollten Ärztinnen und Ärzte bei Verdacht auf häusliche Gewalt reagieren? Insbesondere Hausärzte pflegen oft eine langjährige Beziehung zu ihren Patientinnen und Patienten und haben damit besonders gute Chancen, Hinweise auf Gewalterfahrungen zu erkennen. Damit gehen allerdings auch große Herausforderungen einher. Das Gesundheitsministerium und die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) haben nun einen Leitfaden vorgelegt, der Ärzten die wichtigsten Versorgungsschritte und Anlaufstellen vorstellt.
Leitfaden als Hilfestellung für Ärzte
Wie die von Statistik Austria durchgeführte Studie „Gewalt gegen Frauen“ zeigt, hat jede dritte Frau in Österreich im Erwachsenenalter schon einmal sexuelle oder körperliche Gewalt erfahren müssen. Rund 16 Prozent der Frauen haben Gewalt in intimen Partnerbeziehungen erlebt. Hausärzte können in solchen Fällen niedrigschwellige Hilfe anbieten – vorausgesetzt, sie wissen, wie sie richtig reagieren. Um Mediziner im niedergelassenen Bereich bei dieser schwierigen Aufgabe zu unterstützen, haben das Gesundheitsministerium und die GÖG nun den Leitfaden „Häusliche Gewalt: Erkennen, ansprechen, dokumentieren und weitervermitteln“ herausgegeben.
Entwickelt wurde der Leitfaden von einer eigens dafür eingerichteten Arbeitsgruppe, zu der unter anderem Experten der Österreichischen Ärztekammer sowie von Opferschutz- und Kinderschutzverbänden gehören.
Versionen für neun Bundesländer
Der zweiseitige Leitfaden zeigt die notwendigen Versorgungsschritte bei Verdachtsfällen auf und erklärt, wann Patienten an ein Krankenhaus oder andere Institutionen weitergeleitet werden sollten. Das Dokument steht in Varianten für neun Bundesländer zur Verfügung: für das Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien. Jede Version enthält Kontaktdaten zu regionalen Ansprechpartnern.
Die Verfasser betonen, dass der Leitfaden keine spezifischen Schulungen, etwa zur Gesprächsführung mit von Gewalt betroffenen Personen oder zur gerichtsverwertbaren Dokumentation, ersetzen kann. Vielmehr soll er als Gedächtnis- und Entscheidungshilfe dienen und sie bei der ersten Ansprache eines Verdachts unterstützen.
Empfohlenes Vorgehen: Verdacht erkennen, ansprechen, Hilfe anbieten
Der Leitfaden gibt zum Beispiel Handlungshinweise, um einen Verdacht auf häusliche Gewalterfahrungen zu erkennen und anzusprechen. Verneinen Patienten den Verdacht, sollten Ärzte noch einmal ihre Sorge zum Ausdruck bringen und das Gesprächsangebot aufrechterhalten. Bestätigt sich der Verdacht, ist die aktuelle Gefährdungssituation zu klären.
In gewissen Fällen sind Ärzte dazu verpflichtet, Anzeige zu erstatten. Diese Anzeigepflicht besteht gemäß dem Gewaltschutzgesetz von 2019 bei schwerer Körperverletzung oder Tod der Betroffenen, bei Vergewaltigung und bei Misshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch besonders schützenswerter Personen wie Minderjährige oder pflegebedürftige Menschen.
Weiterhin gibt der Leitfaden Hinweise zur Versorgung der Betroffenen, zur Weitervermittlung an ein Krankenhaus, auch zu einer möglicherweise nötigen Spurensicherung, zur Dokumentation der Fälle sowie zur Weiterleitung an andere Hilfseinrichtungen.