Hanf ist eine Pflanze, die die Menschheit seit Jahrtausenden begleitet. Hanffasern dienten und dienen zur Herstellung von Seilen, aus den Samen gewinnt man Öl. Getrocknete Blüten und Blätter werden für Rauschmittel wie Haschisch und Marihuana genutzt. Vor allem deswegen ist Cannabis – so die lateinische Bezeichnung für Hanf – umstritten. Aber auch als Schmerz- und Heilmittel ist die vielseitige Pflanze verwendbar. Die medizinischen Möglichkeiten sind allerdings erst teilweise erforscht.
Die medizinischen Wirkungen beruhen vor allem auf den Inhaltsstoffen Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). CBD wirkt angstlösend und entzündungshemmend. THC kann Entspannung fördern, Verkrampfungen lösen, Schmerzen lindern und Brechreiz entgegenwirken. Der therapeutische Einsatz beider Wirkstoffe zielt denn auch primär auf die Behandlung chronischer Schmerzen, von Muskelkämpfen und Lähmungserscheinungen bei schweren Erkrankungen wie zum Beispiel Multipler Sklerose oder Epilepsie sowie von schwerer Übelkeit und Erbrechen – insbesondere im Zusammenhang mit Chemotherapien bei Krebs. Auch um Gewichtsverlust bei HIV-Infektionen entgegenzuwirken, wird der Einsatz von Hanfmedikamenten diskutiert.
Cannabis: Lückenhafte Studienlage und enge begrenzte Einsatzmöglichkeiten
In Österreich ist die Verwendung der Hanfpflanze streng reguliert. Das gilt auch für medizinische Behandlungen. Andere europäische Länder sind hier liberaler. Als Vorreiter gelten seit jeher die Niederlande. In Deutschland ist die medizinische Anwendung bereits seit einigen Jahren möglich, die neue deutsche Regierung will jetzt weitere Schritte in Richtung Liberalisierung gehen. In Österreich sind die Hanf-Arzneimittel Dronabinol, Sativex und Epidiolex im Rahmen des Suchtmittelgesetzes zugelassen und können unter bestimmten Voraussetzungen auf Rezept verschrieben werden. Die Reserviertheit gegenüber dem Wirkstoff hängt zum einem mit dem Missbrauchs-Potential als Droge zusammen, zum anderen mit den bisher nur begrenzten Erkenntnissen über die medizinische Wirksamkeit.
Die Studienlage ist lückenhaft. Zu THC existieren Studien, die nahelegen, dass Medikament auf Hanfbasis Schmerzen, Muskelkrämpfen, Übelkeit oder Gewichtsverlust entgegenwirken können. Die festgestellte Wirkung ist aber eher mäßig und der Effekt setzt mehr auf lange Sicht ein. Für Akutbehandlungen sind solche Arzneimittel daher nicht geeignet. Bei der Erbkrankheit Chorea Huntington (früher „Veitstanz“), Blasenschwäche durch Multiple Sklerose, bei entzündlichen Darm-Erkrankungen, Parkinson und sonstigen Bewegungsstörungen oder Zittern konnte die Wirksamkeit in Studien dagegen nicht bestätigt werden. Zu anderen Erkrankungen fehlt es bisher an aussagefähigen Untersuchungen und validem Datenmaterial.
Die Wirksamkeit von Cannabinoiden beruht auf der Aktivierung von Cannabinoid-Rezeptoren im menschlichen Organismus. Man unterscheidet Typ-1-Cannabinoid-Rezeptoren und Typ-2-Cannabinoid-Rezeptoren. Typ-1-Cannabinoid-Rezeptoren sitzen im zentralen Nervensystem. Deshalb wird häufiger die Wirksamkeit bei Nervenschädigungen und neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson untersucht. Typ-2-Cannabinoid-Rezeptoren existieren dagegen im Immun-, Verdauungs- oder Fortpflanzungssystem, aber auch in den Knochen und bei inneren Organen. Daher findet man auch Beiträge zu den Anwendungen von Cannabis bei Krankheiten und Schädigungen in diesen Bereichen. Diese sind aber nicht immer wissenschaftlich fundiert. Im Übrigen stellt der Körper auch selbst Cannabinoid-ähnliche Substanzen her – sogenannte Endocannabinoide, die ein eigenes System bilden.
MedUni Wien: keine Wunderpflanze – mehr klinische Studien nötig
Der Neurobiologe und Leiter der Abteilung für Molekulare Neurowissenschaften am Zentrum für Hirnforschung der MedUni Wien, Theo Harkany, mahnt vor dem Hintergrund der bestehenden Forschungslücken mehr klinische Studien zur Wirksamkeit von Hanfstoffen über das bekannte Einsatzspektrum hinaus an. Es gebe zahlreiche Hinweise, dass die Einsatzmöglichkeiten vielfältiger seien als bisher erprobt. Aber es fehle an dem nötigen wissenschaftlichen Nachweis. Harkany warnt zugleich davor, in Hanf eine „Wunderpflanze“ zu sehen, die gegen alles und jedes helfe – Hanfprodukte werden so nämlich gerne vermarktet. Tatsächlich gehe es um einen sehr spezifischen Einsatz. Dazu muss geklärt werden, wann, wo, wie und wofür.
Harkany sieht die Forschung zu Cannabinoiden sowohl als Aufgabe für Universitäten als auch für Pharmaunternehmen. Es sei dringend notwendig, die Cannabispflanze in die wissenschaftliche Medizin zu holen. Cannabinoide als medizinischer Wirkstoff besäßen eine große Zukunft, wenn es gelinge, die potenziellen Anwendungsformen zu standardisieren und mit entsprechenden Studiendesigns gezielt zu erforschen.