In Österreich waren im Studienjahr 2019/2020 fast 15.000 Studierende in medizinischen Fächern eingeschrieben – ein Plus von knapp 5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und deutlich mehr als in der Vor-Dekade. Trotzdem könnte dies nicht ausreichen, um den Bedarf an medizinischem Nachwuchs zu decken. Längst nicht jeder, der ein Medizinstudium beginnt, beendet es auch und längst nicht jeder Medizinabsolvent bleibt danach in Österreich oder übt den Beruf tatsächlich aus. Der Rechnungshof Österreich hat sich in einem Bericht ausführlich mit der Situation befasst.
Viele Medizinstudenten brechen Studium ab
Dass es eine erhebliche Zahl an Studienabbrechern gibt, belegt das Verhältnis von Studienanfängern und Absolventen. Die Zahl der Absolventen erreichte in den vergangenen Jahren nur etwa 50 bis 60 Prozent der Studienanfänger. Im Studienjahr 2019 standen zum Beispiel 2.852 Studienanfängern 1.518 Absolventen gegenüber. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang: bei den Absolventen stammten 470 aus dem Ausland. Das ist fast ein Drittel. Schon daraus wird deutlich, warum ein nicht unerheblicher Teil der Medizinabsolventen nach dem Studium nicht in Österreich den Arztberuf ergreift. Viele zieht es wieder in ihre Heimat.
Investition zahlt sich oft nicht aus – Ausbildung kostet pro Medizinabsolvent bis zu 542.000 Euro
Das Studienjahr 2019/2020 war keineswegs ein Ausnahmejahr, wie der Rechnungshof-Bericht nachweist. Im Untersuchungszeitraum 2008/09 bis 2018/19 ergriff jeweils rund ein Drittel der Medizinabsolventen anschließend nicht den Arztberuf in Österreich. Dem steht eine zunehmende Alterung der österreichischen Ärzteschaft gegenüber. Der Anteil der Ärzte über 55 steigt seit Jahren kontinuierlich und lag Ende 2020 bei 32,2 Prozent. Die Zahl der Ärzte, die den Beruf aufgeben und in Ruhestand gehen, wird folglich in den kommenden Jahren noch größer werden. Dafür wird Ersatz benötigt, um die ärztliche Versorgung weiter sicherzustellen. “Verluste” bei akademischem Nachwuchs sind da besonders schmerzlich. Um Lücken zu füllen, greift man zunehmend auf ausländische Ärzte zurück. Bereits heute stammt jeder neunte Arzt in Österreich aus dem Ausland – gut 40 Prozent davon aus Deutschland, 11 Prozent aus Italien und 9 Prozent aus Ungarn.
Trotz Ärzten aus dem Ausland – der Rechnungshof ermittelt trotzdem rund 20 Prozent “Defizit” beim Ärztepotential – alleine dadurch, dass Medizinabsolventen nach dem Studium nicht in Österreich ärztlich tätig werden. Selbst wer sich in die Ärzteliste eintragen lässt, übt den Beruf nicht unbedingt aus. Im Schnitt ruht bei jedem achten neu eingetragenen Arzt die Tätigkeit. Die Gründe dafür mögen unterschiedlich sein. Fakt ist, dass vorhandene ärztliche Kompetenz faktisch nicht zur Verfügung steht. Es handelt sich nicht nur um einen medizinischen, sondern auch um einen volkswirtschaftlichen Verlust. Die Ausbildungskosten pro Absolvent betragen bis zu 542.000 Euro, rechnet der Bericht vor.
Allgemeinmedizin-Ausbildung – trotz Reform noch nicht attraktiv genug
Vor diesem Hintergrund fordert der Rechnungshof vom Gesundheits- und Bildungsministerium, von den Medizin-Unis und der österreichischen Ärztekammer Maßnahmen, um mehr Medizinabsolventen in Österreich zum Studienabschluss und zur anschließenden Berufsausübung im Land zu bewegen. Dabei gilt es auch, Hemmnisse zu beseitigen. Seit 2005/06 gelten an österreichischen Medizin-Unis Zugangsbeschränkungen zum Studium. Der Bericht hat dafür speziell die Medizin-Unis Wien und Graz in den Blick genommen. Hier machten sich Zugangsbeschränkungen – bedingt durch die Mindeststudiendauer von 12 Semestern – ab 2010/2011 spürbar in den Absolventenzahlen bemerkbar. Ihre Zahl sank um rund ein Fünftel.
Ein besonderes Sorgenkind ist die Allgemeinmedizin. Im Zeitraum 2016 bis 2020 ist die Zahl der Turnusärzte landesweit zurückgegangen – mit regional sehr unterschiedlichen Ausprägungen. Mit 15 Prozent war der Rückgang im Burgenland vergleichsweise moderat, am anderen Ende der Skala mit 43 Prozent in Kärnten fast dramatisch. Im Zeitraum Juni 2015 bis November 2016 begannen von ca. 1.500 Turnusärzten (nur) 47 Prozent den allgemeinärztlichen Spitalsturnus. Es bestehe offenbar eine starke Tendenz, noch während der Allgemeinmediziner-Ausbildung in eine Sonderfach-Ausbildung zu wechseln – so der Bericht. Damit ist eine wesentliche Zielsetzung der 2015/2016 durchgeführten Reform der Ärzteausbildung – nämlich die Attraktivität der Allgemeinarzt-Ausbildung zu steigern – offenbar nicht erreicht worden. In diesem Kontext sind auch aktuelle Forderungen nach einem Facharzt für Allgemeinmedizin in Österreich zu verstehen. Die Allgemeinmediziner-Ausbildung solle damit im Vergleich zu anderen Facharzt-Ausbildungen aufgewertet werden – ein Instrument, um dem drohenden Hausarztmangel zu begegnen.
Grobe Fehleinschätzungen bei Bedarfsanalyse und -planung
Handlungsbedarf sieht der Bericht auch bei der Bedarfsanalyse und -planung für ärztliche Ausbildungsstellen. Hier gebe es erhebliche Mängel bei der Datengrundlage und bei der Methodik. Die Zahl der angebotenen Ausbildungsstellen in den einzelnen Bundesländern orientiere sich bislang zu sehr an der Schätzung der anstehenden Pensionierungen. Dabei habe es in der Vergangenheit zum Teil gravierende Fehleinschätzungen gegeben. Ein Extrembeispiel: 2018 sei in Wien die Zahl der Arzt-Pensionierungen in Wien um mehr als sechsmal höher geschätzt worden als tatsächlich erfolgt. Die ausschließliche Orientierung an den Pensionierungen sei außerdem zu undifferenziert. Relevante Faktoren wie Teilzeitarbeit, neue Versorgungsmodelle, Öffnungszeiten oder demografische Trends würden nicht berücksichtigt. Fehlsteuerungen seien dadurch vorprogrammiert.
Konsequente Abstimmung und Optimierung erforderlich
Ein weiteres Handlungsfeld laut Bericht ist die hohe Abbruchquote im Medizin-Studium. Auch dadurch gingen Potentiale verloren. Der Rechnungshof empfiehlt entsprechende Gegenmaßnahmen. Hier und auch in anderen Bereichen sollten sich die betroffenen Ministerien, Universitäten und die österreichische Ärztekammer regelmäßig und kontinuierlich abstimmen, um die Arztausbildung im Hinblick auf den Bedarf nachhaltig zu optimieren.