Mit welchen Maßnahmen lässt sich einem Ärztemangel in Österreich entgegenwirken? Um Antworten auf diese Frage zu finden, haben die Simulationsforscher Nikolas Popper und Claire Rippinger analysiert, wie sich die Zahl der Ärztinnen und Ärzte unter bestimmten Bedingungen entwickeln wird. Dabei berücksichtigen die Forscher zum Beispiel eine Attraktivitätssteigerung der Kassenverträge und Interventionen in der ärztlichen Ausbildung.
5,5 Prozent weniger besetzte Ärztestellen im Jahr 2030
Die Bundeskurie niedergelassener Ärzte hatte die Simulationsstudie in Auftrag gegeben. Berücksichtigt wurden sowohl Allgemeinmediziner als auch Fachärzte, vor allem in den Fächern, in denen bereits eine deutliche Knappheit besteht.
Ende Dezember 2020 kam die Ärztekammer auf eine Zahl von 47.674 besetzten Ärztestellen in Österreich. Die Simulationsforscher haben errechnet, dass bis zum Jahr 2030 nur noch rund 44.400 Stellen besetzt sein werden. Das entspricht einem Rückgang von 5,5 Prozent. Insbesondere betroffen sind die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. So falle die Zahl der Allgemeinmediziner von 4.100 auf 3.450. Die besetzten Stellen bei den Wahl- und Privatärzten gehen der Simulation zufolge von 4.500 auf 3.800 zurück. Im Facharztbereich sehen die Forscher die Fächer Frauenheilkunde, Augenheilkunde, Innere Medizin und Urologie am stärksten betroffen.
Was ändert sich durch attraktivere Kassenverträge?
Wie würde sich diese prognostizierte Entwicklung verändern, wenn weniger Mediziner ins Ausland abwandern oder die Zahl der Ausbildungsanfänger steigt? Den Forschern zufolge würden sich die positiven Auswirkungen erst in einigen Jahren bemerkbar machen. Selbst eine sehr hohe Zahl von Studienanfängern könnte den pensionsbedingten Rückgang erst in etwa 15 Jahren ausgleichen.
Und was würde sich verändern, wenn jedem niedergelassenem Arzt ein Kassenvertrag angeboten würde? Diesen Vorschlag hatte der Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), Andreas Huss, im Sommer ins Spiel gebracht. Jeder Arzt, der will, soll einen Kassenvertrag erhalten, alle anderen automatisch zum Privatarzt werden. Die Tätigkeit als Kassenarzt solle zudem attraktiver gemacht werden. Der Gang zum Wahlarzt würde dadurch für viele Patienten unnötig. Die Arbeiterkammer unterstützt den Vorschlag, die Ärztekammer ist skeptisch.
Handlungsbedarf sieht auch der Rechnungshof. Aktuell steigt in Österreich die Zahl der Wahlärzte, bei Allgemeinmedizinern um 42 Prozent, bei Fachärzten um 38 Prozent. Gleichzeitig entscheiden sich mehr Österreicher und Österreicherinnen für eine private Krankenversicherung. Derweil waren Ende 2019 rund 4,6 Prozent der Planstellen für Kassenärzte unbesetzt, mehr als die Hälfte davon Allgemeinmediziner-Stellen. Der Rechnungshof bezeichnet diese Entwicklung als Herausforderung für die ärztliche Versorgung. Er hat dem Gesetzgeber empfohlen, die Rahmenbedingungen für ärztliche Planstellen in der Österreichischen Gesundheitskasse flexibler zu gestalten und an regionale Bedürfnisse anzupassen.
Wie die Simulation zeigt, hätte eine solche Attraktivitätssteigerung der Kassenverträge unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Fachbereiche. Für Fachbereiche, in denen die meisten niedergelassenen Ärzte heute keinen Kassenvertrag haben, sehen die Autoren der Simulationsstudie ein großes Potenzial, dem pensionsbedingten Rückgang entgegenzuwirken. In anderen Fachrichtungen ließe sich der Rückgang lediglich abschwächen.
Welche Maßnahmen können dem Ärztemangel vorbeugen?
Die Simulationsforscher kommen zu dem Ergebnis, dass sich ein möglicher Ärztemangel nur durch einen Mix verschiedener Maßnahmen abwenden lässt. Für einen solchen Maßnahmenmix plädiert auch die Ärztekammer. Auch sie fordert unter anderem, Kassenverträge zu flexibilisieren, sodass nicht nur die individuellen Bedürfnisse von Ärzten berücksichtigt, sondern auch regionale Versorgungsengpässe ausglichen werden. Damit dies gelingt, müsse zuvor allerdings analysiert werden, warum so viele Ärzte den Kassenbereich unattraktiv finden. Eine wichtige Intervention bestehe darin, leistungsfeindliche Bestimmungen in den Honorarverträgen abzuschaffen. Außerdem sollen die Kassenverträge international konkurrenzfähig gestaltet werden, um die Tätigkeit als Kassenarzt auch für Mediziner aus dem Ausland attraktiver zu machen.
Eine weitere wichtige Maßnahme sieht die Ärztekammer im Bürokratieabbau. Weniger Bürokratie in den Arztpraxen lasse den Medizinern mehr Zeit, sich um ihre Patienten zu kümmern. Neue flexible Zusammenarbeitsformen sollen Möglichkeiten schaffen, dass sich mehrere Ärzte zu einer Praxis zusammenschließen. Vor allem aber müsse mehr öffentliches Geld in die niedergelassene ärztliche Versorgung fließen.