Blutgerinnungshemmer können sich positiv auf eine COVID-19-Erkrankung auswirken und sowohl die Überlebenschancen der Patienten verbessern als auch die Dauer der aktiven Infektion verringern. Zu diesem Ergebnis kommen Forscherinnen und Forscher der Medizinischen Universität Wien in einer aktuellen Studie. Ihre Ergebnisse hat die Forschergruppe im November im Fachmagazin Cardiovascular Research veröffentlicht.
COVID-19 als Auslöser für Gerinnungsstörungen
Dass eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 Blutgerinnungsstörungen auslösen kann, ist bereits seit längerem bekannt. Zunächst gingen Mediziner davon aus, dass es sich bei COVID-19 primär um eine Erkrankung der Lunge handelt. Mittlerweile weiß man jedoch, dass der Erreger gleich mehrere Funktionsstörungen im menschlichen Körper auslöst. So führt eine COVID-19-Infektion unter anderem zu einem erhöhten Risiko für Thrombosen und Embolien und kann Thrombosen in den Beinvenen, Schlaganfälle und Lungen- und Herzinfarkte zur Folge haben. Hinweise auf Gerinnungsveränderungen lassen sich bei 20 bis 50 Prozent der hospitalisierten COVID-19-Patienten beobachten. Betroffen sind vor allem Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf. Unter den intensivmedizinisch behandelten Patienten ist der Anteil von Betroffenen mit Gerinnungsstörungen noch einmal wesentlich höher. Die Therapie mit Blutgerinnungshemmern wurde daher im Juli 2020 in die Leitlinien für COVID-19 aufgenommen.
Der Erreger zeigt ähnliche Effekte wie andere RNA-Viren: Auch das Ebola-Virus, das Lassa-Virus, das Hanta-Virus und das Dengue-Virus lösen Gerinnungsstörungen, sogenannte Koagulopathien, aus. Ein bedeutender Unterschied: In Folge einer Infektion mit SARS-CoV-2 treten thrombotische Komplikationen weit häufiger auf als Hämorrhagien. Als mortabilitätsbestimmender Faktor bei COVID-19-Patienten gilt das Auftreten einer disseminierten intravaskulären Gerinnung (DIC). Mediziner diskutieren heute auch, ob Gerinnungsstörungen im Lungenkreislauf und in den Bronchien als Faktor für das akute respiratorische Syndrom (ARDS) im Verlauf eine COVID-19-Erkrankung gesehen werden können.
Eine Herausforderung für die Mediziner ist, dass sich die bei COVID-19-Patienten auftretenden Koagulopathien in vielerlei Hinsicht von anderen, bislang bekannten Gerinnungsproblemen unterscheiden. Die Eigenschaften der durch SARS-CoV-2 ausgelösten Gerinnungsstörungen ähneln zwar anderen Koagulopathien, lassen sich jedoch durch die bisherige Forschung noch nicht umfassend klären. Die Forschergruppe der MedUni Wien begann daher bereits im Frühjahr 2020, diese Teilerkrankung von COVID-19 genauer zu studieren.
Blutgerinnungshemmer verkürzen die aktive Infektionszeit
Für die im November 2021 veröffentlichte Studie beobachtete die Forschergruppe 586 hospitalisierte COVID-19-Patienten aus drei unterschiedlichen Regionen Österreichs. Dabei arbeiteten die Wissenschaftler mit der Klinik Favoriten Wien, dem Landeskrankenhaus Innsbruck und dem Johannes-Kepler-Universitätskrankenhaus Linz zusammen. 419 Patienten wurden während des Analyse-Zeitraums mit niedermolekularem Heparin behandelt, einem Mittel, das die Blutgerinnung hemmt. 62 erhielten Nicht-Vitamin-K-antagonistische orale Blutgerinnungshemmer (NOAC).
Die Auswertung zeigt, dass die Behandlung mit niedermolekularem Heparin die Zeitspanne einer aktiven SARS-CoV-2-Infektion wesentlich verkürzen kann. Bei Patienten aus der mit Heparin behandelten Gruppe verkürzte sich die Zeit der aktiven Infektion um durchschnittlich vier Tage. Die Forscher selbst waren von diesem Ergebnis überrascht. Experimentelle Daten lassen den Schluss zu, dass Heparin sich negativ auf die Bindungsfähigkeit von SARS-CoV-2 auswirkt, wodurch das Virus nicht an Zellen andocken kann.
Kein Effekt auf immunologische Prozesse
Die Behandlung mit Heparin hatte ein geringeres Zellsterben zur Folge. Weiterhin zeigte sich, dass die Behandlung mit Blutgerinnungshemmern die Überlebenschancen von COVID-19-Patienten verbessern kann. Keinen Effekt haben die Medikamente dagegen auf die immunologischen Prozesse im Zusammenhang mit der Blutgerinnung, zum Beispiel auf Immunthrombosen.
Dennoch beurteilt die Forschungsgruppe ihre Ergebnisse positiv. Die Studie habe einen positiven Einfluss von niedermolekularem Heparin auf COVID-19-Patienten gezeigt, darunter unter anderem eine eingeschränkte Resistenz gegen SARS-CoV-2. Basierend auf diesen Ergebnissen empfehlen die Wissenschaftler, die Wirkung von Heparin in randomisierten, kontrollierten medizinischen Studien genauer zu untersuchen. Bestätigt sich der positive Effekt, kann das Medikament COVID-19-Patienten verabreicht werden, sofern keine bekannte Vorerkrankung dagegenspricht. Bereits laufende Versuchsreihen zur Gabe von Heparin bei COVID-19 sollten sich auf die Auswirkung des Blutgerinnungshemmers auf die Viralpersistenz konzentrieren. So könnten weitere Einsatzgebiete des Medikaments während der Pandemie identifiziert werden.