Angesichts der extremen Belastung im Arbeitsalltag kommt der Selbstfürsorge für Ärzte eine große Bedeutung zu. Nur, wer sich um sich selbst und die eigene Gesundheit kümmert, kann auch den Bedürfnissen der Patienten gerecht werden. Doch wie gelingt es, sich im medizinischen Alltag selbst mehr Fürsorge zukommen zu lassen? Der folgende Artikel gibt Tipps.
Österreichs Ärzte leiden unter hoher Arbeitsbelastung
78 Prozent der Wiener Spitalsärzte sind mit ihrem Arbeitsalltag unzufrieden. Das zeigt eine von der Wiener Ärztekammer initiierte, in mehreren Teilen veröffentlichte Umfrage, die 2022 unter Tausenden von Ärzten durchgeführt wurde. Nur elf Prozent der Befragten schaffen es, ihr Arbeitspensum ohne Überstunden zu erledigen. 25 Prozent geben gar an, die gesetzlichen Ruhezeiten nicht einhalten zu können. Fast 40 Prozent der Wiener Spitalsärzte sind Burnout-gefährdet. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung denken rund zwei Drittel von ihnen sogar darüber nach, den Job zu wechseln.
Der ständige Stress im medizinischen Alltag hat Auswirkungen auf die eigene Gesundheit. Unter Stress schüttet der Körper die Hormone Cortisol und Adrenalin aus, die kurzfristig die Energie und Konzentration steigern sollen. Diese hormonelle Reaktion kann jedoch zu impulsivem Verhalten führen. Das äußert sich unter Umständen in übereilten Entscheidungen oder aber durch einen Verlust der Selbstkontrolle, der mit übermäßigem Essen, Alkohol- oder Tabakkonsum einhergeht. Ungesundes Essen, Alkohol und Nikotin aktivieren kurzzeitig das Belohnungszentrum im Gehirn. Der Versuch, dieses angenehme Gefühl aufrechtzuerhalten, kann in einen Teufelskreis führen. Daher ist rechtzeitiges Gegensteuern gefragt – durch aktive Selbstfürsorge, im Englischen als Self Care bezeichnet.
Der Bedeutung der Self Care für Ärzte hat der Weltärztebund Rechnung getragen, als er 2017 das Genfer Gelöbnis überarbeitete und dem „modernen Hippokratischen Eid“ die Aufforderung hinzufügte, dass sich Mediziner auch um die eigene Gesundheit kümmern sollen.
Was Ärzte für mehr Selbstfürsorge tun können
Zwar gibt es hin und wieder Fortbildungen und Online-Workshops zum Thema Self Care, noch sind diese aber selten. Die MedUni Wien bietet für Medizinstudierende immerhin ein Self Care-Seminar zum Erfahrungsaustausch und zur Supervision an. Meist aber müssen Ärzte eigene Wege finden, um geeignete Strategien und Methoden in ihren Alltag zu integrieren. Die folgenden Tipps helfen dabei, die Energie-Akkus wieder aufzufüllen.
Kurze Pausen nutzen
Im stressigen Arbeitsalltag fällt es oft schwer, regelmäßige Pausen einzulegen. Ärzte sollten daher kleine Verschnaufpausen nutzen, um innehalten und den Blick nach innen zu lenken. Das gelingt etwa, indem man bestimmte Abläufe zu festen Ritualen werden lässt. So kann man beispielsweise bei jedem Gang zum Desinfektionsspender kurz anhalten und drei tiefe Atemzüge nehmen. Das trainiert den Geist, kurz aus dem „Funktionieren-Modus“ auszutreten und in den „Sein-Modus“ überzugehen.
Freizeit strukturiert planen
Um in der Freizeit Energie zu tanken, sollten Ärzte sich die folgenden Fragen stellen:
- Welche Aktivitäten geben Kraft und machen Freude?
- Welche Aktivitäten haben einem in der Vergangenheit bereits gut getan?
- Welche Unternehmungen lassen sich einfach in den persönlichen Alltag integrieren?
- Wie motiviert ist man, der Aktivität tatsächlich nachzugehen?
Die eigene Motivation lässt sich auf einer Skala von 1 für „gar nicht motiviert“ bis 10 für „sehr motiviert“ einschätzen. Möchte man Aktivitäten regelmäßig nachgehen, sollte sich die Motivation mindestens bei 7 bis 8 befinden.
Am besten plant man seine Aktivitäten strukturiert. Ein solcher Plan kann zum Beispiel daraus bestehen, jeden Tag einen kurzen Spaziergang einzulegen, zweimal die Woche im Fitnessstudio zu trainieren, an bestimmten Tagen mit der ganzen Familie gemeinsam zu essen und alle zwei Wochen einen Filmabend mit Freunden einzulegen. Darüber hinaus sollte man überlegen, welche Hindernisse diesen Plänen im Wege stehen könnten, etwa dringende berufliche oder private Termine, und wie man auf diese Hindernisse reagiert.
Hausarzt suchen
Während sich Ärzte tagtäglich um die Gesundheit ihrer Patienten kümmert, wird das eigene Wohlbefinden häufig vernachlässigt. Mediziner sind allerdings gut beraten, sich selbst einen Hausarzt zu suchen – am besten in stressfreien Zeiten. Gesundheitlichen Beschwerden lässt es sich so schneller auf die Spur kommen.