Die Studienlage lässt Homöopathie wirkungsvoller erscheinen, als sie ist. Laut dem Wissenschaftsnetzwerk Cochrane liegt dies daran, dass zahlreiche negative Studienergebnisse gar nicht erst veröffentlicht werden. Zu diesem Schluss kommt eine Untersuchung unter Leitung von Gerald Gartlehner vom Department für Evidenzbasierte Medizin und Evaluation der Donau-Uni Krems. Die im Fachmagazin BMJ Evidence-Based Medicine veröffentlichte Analyse attestiert vielen Homöopathie-Studien eine mangelhafte Forschungspraxis.
Studien mit hohem Risiko für Verzerrungseffekte
Homöopathie ist eine der Alternativmedizin zugeordnete Heilmethode, die vom deutschen Arzt Samuel Hahnemann zu Beginn des 19. Jahrhunderts entwickelt wurde. Sie basiert darauf, “Gleiches mit Gleichem” zu heilen. Sie setzt zur Therapie also genau die Wirkstoffe ein, welche die Symptome hervorrufen, die behandelt werden sollen. Diese Wirkstoffe kommen dabei in starker Verdünnung zum Einsatz. Bei der sogenannten Potenzierung werden sie mit destilliertem Wasser oder Alkohol soweit gestreckt, dass die fertigen Mittel rein rechnerisch keine Moleküle der Ausgangssubstanz mehr enthalten.
Die Wirkung von Homöopathie ist umstritten. Schulmediziner führen einen eventuellen Behandlungserfolg auf den Placeboeffekt zurück. Bei Patienten allerdings erfreuen sich homöopathische Mittel als “sanfte” Alternative zur Schulmedizin großer Beliebtheit. Marktanalysen zeigen, dass im Jahr 2018 mit dem Verkauf homöopathischer Produkte ein Gewinn von 5,5 Milliarden US-Dollar erzielt wurde. Dabei entfallen die meisten Verkäufe auf Nordamerika und Europa. In Österreich verwendet rund jeder zweite Verbraucher über 15 Jahren mindestens einmal im Jahr homöopathische Mittel. Von der Krankenkasse übernommen wird Homöopathie in Österreich jedoch nur in Ausnahmefällen.
Viele Studien wollen den Beweis antreten, dass Homöopathie tatsächlich einen positiven Einfluss auf die Behandlung von Krankheiten hat und die Wirkung nicht nur auf den Placebo-Effekt zurückzuführen ist. Die aktuelle Analyse von Cochrane Österreich wirft allerdings Zweifel an der wissenschaftlichen Validität der Studien auf. Gerald Gartlehner von der Donau-Uni Krems sowie Forscherinnen und Forscher von der Medizinischen Universität Wien und der Karl-Landsteiner-Privatuniversität haben untersucht, wie viele Homöopathie-Studien entsprechend der Vorgaben des Weltärztebundes registriert worden sind. Dabei stellen sie fest, dass die wissenschaftliche Arbeit im Bereich Homöopathie ein hohes Risiko für Verzerrungseffekte aufweist. Das könne dazu führen, dass die Wirkung homöopathischer Mittel überschätzt werde.
Fast 38 Prozent der Homöopathie-Studien bleiben unveröffentlicht
Eine im Jahr 2008 in Helsinki erlassene Deklaration des Weltärztebundes legt fest, dass nach wissenschaftlichen Kriterien geplante klinische Studien in einer speziellen Datenbank angemeldet werden müssen. Zudem müssen die Forscher angeben, welches erstrangiges Ziel sie mit ihrer Studie verfolgen. Außerdem sollen die Ergebnisse nach Abschluss publiziert werden – unabhängig davon, ob das erstrangige Ziel erreicht wurde oder nicht. Die Datenbanken, in denen die Studien registriert werden, sind öffentlich einsehbar. Beispiele sind ClinicalTrials.gov in den USA und ClinicalTrialsRegister.eu in Europa. Seit Erlass der Deklaration gilt die Registrierung und Publikation der Forschungsergebnisse als ethische Voraussetzung in der Wissenschaft. Eine Verpflichtung, Studienergebnisse zu veröffentlichen, besteht allerdings nicht.
Für ihre Analyse haben die Autoren von Cochrane Österreich seit 2002 durchgeführte Studien zur Wirksamkeit von homöopathischen Mitteln berücksichtigt. 90 registrierte Studien wurden in die Untersuchung aufgenommen. Darunter 72 Prozent randomisierte, kontrollierte Studien und 27 Prozent nicht kontrollierte Studien, mit einer nicht-randomisierten, kontrollierten Arbeit. Von diesen registrierten Studien wurden 57,8 Prozent in einem bei PubMed, Embase oder Google Scholar verzeichnetem Fachmagazin veröffentlicht, 4,4 Prozent wurden als graue Literatur publiziert, also nicht im kommerziellen Verlagswesen. 37,8 Prozent blieben unveröffentlicht.
Der Trend zur Veröffentlichung nimmt den Autoren zufolge zwar zu, allerdings wurden bislang auch fast 30 Prozent der in den letzten fünf Jahren durchgeführten, registrierten Studien nicht publiziert. Bei weiteren 25 Prozent der registrieren Studien wurde das vorrangige Ziel in der späteren Publikation verändert oder angepasst.
Reporting Bias: Veröffentlichung hängt von den Studienergebnissen ab
Die Cochrane-Autoren haben sich auch angesehen, wie viele der seit 2008 angemeldeten Studien im Vorfeld registriert wurden und damit die Vorgaben der Deklaration von Helsinki erfüllen. Das war nur bei 30,7 Prozent der Forschungsarbeiten der Fall.
Über eine Literaturanalyse identifizierten die Autoren zudem 193 randomisierte und kontrollierte Studien, die sich mit der Wirksamkeit von homöopathischen Mitteln befassen. 46,6 Prozent dieser wissenschaftlichen Arbeiten wurden gemäß der Helsinki-Deklaration im Vorfeld registriert. Für 53,4 Prozent der Arbeiten ließ sich keine solche Registrierung finden.
Die Untersuchung ergab darüber hinaus, dass nicht registrierte Studien homöopathischen Behandlungen größere therapeutische Effekte zusprechen als vorab registrierte Forschungsarbeiten. Die Autoren deuten den hohen Anteil der nicht oder erst im Nachhinein registrierten Studien als Hinweis auf einen sogenannten Reporting Bias: Ob Homöopathie-Studien registriert werden oder nicht, werde von den Studienergebnissen abhängig gemacht.
Vorrangig Studien mit positiven Ergebnissen veröffentlicht
Nicht nur im Bereich der Homöopathie-Forschung bleiben viele Studien unveröffentlicht. Eine Analyse von 2.132 registrierten klinischen Studien, die zwischen 2009 und 2013 in Deutschland durchgeführt wurden, zeigt etwa, dass 33 Prozent dieser Studien auch fünf Jahre nach Studienende noch nicht publiziert wurden. Von 4.347 klinischen Studien, die an akademischen Einrichtungen in den USA durchgeführt worden sind, blieben 34 Prozent unveröffentlicht.
Die Cochrane-Autoren attestieren der Homöopathie-Forschung dennoch schlechte wissenschaftliche Standards, insbesondere, da vor allem negative Ergebnisse oft nicht publiziert würden. Gartlehner hält es für wahrscheinlich, dass es einen großen Bereich an nicht publizierten und nicht registrierten Studien gibt, von denen nie jemand erfahren wird. Weiterhin geht er davon aus, dass die unveröffentlichten registrierten Studien Beweise für die mangelnde Wirksamkeit homöopathischer Mittel enthalten. Durch den Reporting Bias gelangen dagegen vorrangig Studien mit attraktiven Ergebnissen an die Öffentlichkeit. Dadurch ergebe sich ein verzerrtes Bild der Wirksamkeit von Homöopathie und die tatsächlichen Behandlungseffekte der alternativen Heilmethode könnten überschätzt werden. Mediziner sollten sich bewusst sein, dass die veröffentlichten Studien nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Forschungsarbeit im Bereich der Homöopathie abbilden und mit Vorsicht interpretiert werden müssen.